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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0684
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664 Jenseits von Gut und Böse

Bibel: Altes Testament 1818, 7) und in der bei N. anzitierten Formulierung im
19. Jahrhundert durch Schiller zur idiomatischen Redewendung geworden war:
vgl. die letzte Strophe von Walters Lied Mit dem Pfeil, dem Bogen zu Beginn
des dritten Aufzugs von Wilhelm Teil: „Ihm gehört das Weite; / Was sein Pfeil
erreicht, / Das ist seine Beute, / Was da kreucht und Beugt.“ (Schiller 1844, 5,
61) Wenn das lyrische ,Weiber‘-Wir bei N. davon spricht, dass „ein Mann zu
uns gekreucht“, also wie ein Wurm angekrochen kommt, so verrät dies eine
geringe Meinung der Sprecherin von den Männern.
174, 1 f. Alter, ach! und Wissenschaft giebt auch schwacher Tugend Kraft.] Die
Zusammenstellung der „Wissenschaft“ mit der Interjektion „ach!“ lässt sich als
Anspielung auf Fausts Studierzimmermonolog lesen („Habe nun, ach! Philoso-
phie, / Juristerei und Medizin, / Und leider auch Theologie / Durchaus studiert,
mit heißem Bemühn. / Da steh ich nun, ich armer Tor!“ Goethe: Faust I, V.
354-358). Faust geben allerdings weder Alter noch Wissenschaft Kraft - er ist
aber eben auch kein „Weib“ mit „schwacher Tugend“.
174, 3 f. Schwarz Gewand und Schweigsamkeit kleidet jeglich Weib — gescheidt.]
Die pauschale, merkwürdige Behauptung, dass alle Frauen, die (als Witwen
während des traditionellen Trauerjahres) schwarze Kleider tragen und schwei-
gen, klug („gescheidt“) wirken, soll vielleicht - auch über die metaphorische
Verbindung von ,schweigen4 und ,kleiden4 - die Pointe zünden, dass es sich
dabei bloß um eine Verkleidung, eine Maskerade handle. In der dahinter ver-
borgenen Wirklichkeit sei „das Weib an sich“ gerade nicht ernst, sondern hei-
ter, nicht schweigsam, sondern schwatzhaft, nicht „gescheidt“, sondern dumm
(vgl. auch die „Eselin“ in 174, 9). Diese misogynen Stereotype waren im
19. Jahrhundert weitverbreitet, sie finden sich allesamt auch in Schopenhauers
Betrachtungen Über die Weiber.
174, 5f. Wem im Glück ich dankbar bin? Gott! — und meiner Schneiderin.] Die
Antwort auf die 28. Frage des Heidelberger Katechismus, was uns die Erkennt-
nis der Schöpfung und der Vorsehung Gottes nütze, lautet: „Daß wir in der
Widerwärtigkeit geduldig, im Glück dankbar sind, und für’s Zukünftige unsre
feste Zuversicht auf unsern getreuen Gott und Vater setzen“ (Krummacher
1859, 19). Von einer Schneiderin ist da freilich, anders als in der weiblichen
Rollenrede von 174, 5f., nicht die Rede. Vor dem Hintergrund der in Matthäus
6, 28 angeprangerten Eitelkeit der Kleidungssorgen wirkt die Zusammenstel-
lung von Gott und Schneiderin als gleichwertige Glücksgaranten besonders
lästerlich.
174, 7 Jung: beblümtes Höhlenhaus. Alt: ein Drache fährt heraus.] Zur poetisch-
mythologischen Opposition von Mädchen und Drache vgl. Groddeck 1991, 2,
 
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