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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0705
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Stellenkommentar JGB 244, KSA 5, S. 184 685

184, 25-27 Es kennzeichnet die Deutschen, dass bei ihnen die Frage „was ist
deutsch?“ niemals ausstirbt.] Explizit hat sich Richard Wagner diese Frage in
einem Aufsatz Was ist deutsch? gestellt, der zwar schon im Jahr 1865 begonnen
wurde, aber erst 1878 in den Bayreuther Blättern erschienen ist. Dieser Jahr-
gang befand sich auch unter N.s Büchern (NPB 667). Wiederholt hat sich N.
von Wagners antisemitischer und antifranzösischer Beantwortung der Frage
nach der deutschen Essenz abgegrenzt, etwa in FW 357, KSA 3, 597-602, vgl.
hierzu z. B. Stegmaier 2012, 360-366; Rupschus 2013, 18-21 u. NK KSA 6, 424,
4-8; ferner KSA 14, 180; Ottmann 1999, 126 u. 184 sowie NK 186, 30 f.
184, 27-29 Kotzebue kannte seine Deutschen gewiss gut genug: „wir sind er-
kannt“ jubelten sie ihm zu, - aber auch Sand glaubte sie zu kennen.] August
von Kotzebue (1761-1819) gehörte zu den erfolgreichsten Dramatikern seiner
Zeit, der in seinem Lustspiel Die deutschen Kleinstädter von 1802 den deut-
schen Provinzialismus karikierte (vgl. NK 16, 28-31 u. NL 1885, KSA 11, 36[40],
567, 25-27 [entspricht KGWIX 4, W 14,18,14-16]: „Die deutschen Kleinstädter,
wie sie Kotzebue gemalt hat — und das Gemälde war gut — sind nach dem
Bilde der Weimaraner gemacht, zur Zeit Schillers und Goethes“). Das tat der
Popularität seiner über 200 Dramen keinen Abbruch. Ab 1817 als russischer
Generalkonsul im restaurativen Deutschland und rastlos publizistisch tätig, at-
tackierte er die Burschenschaftsbewegung als verkappt revolutionär und zog
so den Hass der national-freiheitlich gesinnten studentischen Jugend auf sich,
die auf dem Wartburgfest seine Geschichte des Deutschen Reiches von dessen
Ursprünge bis zu dessen Untergange (1814/15) verbrannte. 1819 fiel er einem
Mordanschlag des Theologiestudenten Karl Ludwig Sand (1795-1820) zum Op-
fer, der im Dichter einen Vaterlandsverräter und russischen Spion zu erkennen
wähnte. Das Attentat erregte ungeheures Aufsehen und bot der Obrigkeit des
Deutschen Bundes Anlass zu den repressiven Karlsbader Beschlüssen. Sand
selbst wurde nach seiner Hinrichtung zur Symbolfigur des national-freiheitli-
chen Widerstandes gegen die Restauration.
Über eine Tante bestand eine entfernte familiäre Beziehung N.s zu Kotze-
bue (vgl. KGB II 7/2, 200); in seiner Bibliothek haben sich ein paar von Kotze-
bues Werken erhalten (NPB 333 f.). Schon in den Vorträgen Ueber die Zukunft
unserer Bildungsanstalten hat N. der Ermordung Kotzebues als eines Aktes von
„tiefem Instinkte und schwärmerischer Kurzsichtigkeit“ gedacht (ZB 5, KSA 1,
750), war also schon damals nicht geneigt, für eine der beiden Seiten Partei zu
ergreifen. Dennoch gestand er dann, allerdings erhebliche Vorbehalte verra-
tend, in MA II VM 170, KSA 2, 448, 2-4 zu: „Das eigentliche Theatertalent der
Deutschen war Kotzebue; er und seine Deutschen, die der höheren sowohl als
die der mittleren Gesellschaft, gehörten nothwendig zusammen, und die Zeit-
genossen hätten von ihm im Ernste sagen dürfen: ,in ihm leben, weben und
 
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