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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0753
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Stellenkommentar JGB 257, KSA 5, S. 205 733

86, KSA 12, l[10], 13, 21 f. (KGW IX 2, N VII 2, 166, 32-34) liegt das „Pathos der
Distanz, das Gefühl der Rangverschiedenheit [...] im letzten Grunde aller Mo-
ral“, es sei „im innersten Grunde“ des ,,sittliche[n] Gefühl[s] in Bezug auf Men-
schen“ (NL 1885/86, KSA 12, 1[7], 12, 26-29, entspricht KGW IX 2, N VII 2, 165,
16-24). Zur Weiterentwicklung des Konzeptes siehe ausführlich NK KSA 6,138,
20 f.
Der Ausdruck „Distanz“ kommt in JGB nur an dieser Stelle vor. Das Vierte
Hauptstück verwertet die Aphorismensammlung NL 1882, KSA 10, 3[1], in der
es auch heißt: „Du gehst zu Frauen? Vergiß die Peitsche nicht! / In der Art,
wie und was man ehrt, zieht man immer eine Distanz um sich.“ (NL 1882,
KSA 10, 3[1]367, 97, 24-98, 2). N. benutzte diese Aufzeichnung allerdings nicht
in JGB (dort kommt auch die Peitsche nirgends vor), sondern bereits in Za I
Von alten und jungen Weiblein, wo zwar der berüchtigte Peitschen-Satz wie-
derkehrt, aber nicht die ursprünglich nachfolgende Überlegung zur Distanz.
Dass gerade auch Geschlechterverhältnisse prinzipiell mehr mit Distanz als mit
Nähe zu tun haben könnten, schien N. wohl als paartherapeutische Überle-
gung im Druck nicht mehr mitteilenswert. Zum Thema siehe Lütkehaus 2012b;
Hödl 2009, 49-54 u. Pieper 1990, 303-312.
205, 20-206, 10 Freilich: man darf sich über die Entstehungsgeschichte einer
aristokratischen Gesellschaft (also der Voraussetzung jener Erhöhung des Typus
„Mensch“ —) keinen humanitären Täuschungen hingeben: die Wahrheit ist hart.
Sagen wir es uns ohne Schonung, wie bisher jede höhere Cultur auf Erden ange-
fangen hat! Menschen mit einer noch natürlichen Natur, Barbaren in jedem
furchtbaren Verstände des Wortes, Raubmenschen, noch im Besitz ungebrochner
Willenskräfte und Macht-Begierden, warfen sich auf schwächere, gesittetere,
friedlichere, vielleicht handeltreibende oder viehzüchtende Rassen, oder auf alte
mürbe Culturen, in denen eben die letzte Lebenskraft in glänzenden Feuerwerken
von Geist und Verderbniss verflackerte. Die vornehme Kaste war im Anfang im-
mer die Barbaren-Kaste: ihr Übergewicht lag nicht vorerst in der physischen
Kraft, sondern in der seelischen, — es waren die ganzeren Menschen (was
auf jeder Stufe auch so viel mit bedeutet als „die ganzeren Bestien“ —).] Vom
„Raubmenschen“ sprach N. nur hier sowie in JGB 197 (vgl. NK 117, 17-29); Ri-
chard Wagner hatte sich dieser Analogiebildung bedient, als er sich über das
Aufkommen des Fleischkonsums in der menschlichen Vorgeschichte äußerte:
„Man kann es nicht anders erfinden, als daß, wie das reißende Thier sich zum
König der Wälder aufwarf, nicht minder das menschliche Raubthier sich zum
Beherrscher der friedlichen Welt gemacht hat: ein Erfolg der vorangehenden
Erd-Revolutionen, der den vorgeschichtlichen Menschen ebenso überrascht
hat wie er auf jene unvorbereitet war. Wie nun aber auch das Raubthier nicht
gedeiht, sehen wir auch den herrschenden Raubmenschen verkommen. In der
 
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