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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0754
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734 Jenseits von Gut und Böse

Folge naturwidriger Nahrung siecht er in Krankheiten, welche nur an ihm sich
zeigen, dahin und erreicht nie mehr weder sein natürliches Lebensalter noch
einen sanften Tod, sondern wird von, nur ihm bekannten Leiden und Nöthen,
leiblicher wie seelischer Art, durch ein nichtiges Leben zu einem stets erschre-
ckenden Abbruch desselben dahin gequält.“ (Wagner 1907,10, 238; auch abge-
druckt in Glasenapp/Stein 1883, 228 f.) Für den vegetaristisch ambitionierten
Wagner erwies sich ein solches Raubmenschentum im wörtlichen Sinn letztlich
als Irrweg unserer Spezies, während es nach JGB 257 den unvermeidlichen Weg
zu menschlicher Höherentwicklung über die Etablierung einer herrschenden
Kaste markiert.
Die Vorstellung urgeschichtlicher Kämpfe, in denen physisch und psy-
chisch herausragende Völkerschaften über andere die Herrschaft erlangten, in
deren Territorien sie von außen eingedrungen waren, ist in der anthropologi-
schen Literatur, die N. zur Kenntnis nahm, weit verbreitet. So handelte Otto
Caspari in seiner Urgeschichte der Menschheit vom urgeschichtlichen „Rassen-
kampfe“ (Caspari 1877,1, 230), in dem „die rohe schwarze Rasse die Herrschaft
führte und in der Entwickelung triumphirte“ (ebd., 229), bis die „Geschicklich-
keit des Körpers und Geistes das ersetzte, was ihr“, nämlich der weißen „Ras-
se“ der „Kaukasier“, „an Kraft und angeborener physischer Stärke den Feinden
und Unterdrückern gegenüber abging“ (ebd., 234): Während „die Schwächern
anfänglich gutwillig dem Joche und der Herrschaft der stärkern und wildern
Rasse sich beugten, entbrannte allmählich der heftigste Kampf“ (ebd., 233).
Historisch konkreter wird es in Friedrich von Hellwalds Culturgeschichte,
wenn dort unmittelbar nach der N. wohlbekannten Darstellung der Lehre Zara-
thustras von der „arischen Einwanderung“ (Hellwald 1876-1877a, 1, 172) in In-
dien während des zweiten vorchristlichen Jahrtausends und über deren Aus-
breitung im Süden gesprochen wird, wo die Arier als „Eindringlinge“ von der
Urbevölkerung „zumeist als Barbaren, Riesen, Ungeheuer geschildert“ wurden
(ebd., 173). Als „indirecte Folge der Eroberung“ seien nun die „Kasten“ ent-
standen: „Die Kastenbildung stellt sich dar als der historische und sociale Aus-
druck der Unterjochung einer untergeordneten durch eine geistig weitaus
überlegene Race.“ (Ebd., 174) Auf das Kastenwesen ging Hellwald im Folgen-
den näher ein und behauptete - was N. ihm nachsprechen sollte: „Das Beste-
hen von ,Ständen4 ist nämlich mit der Natur menschlicher Dinge innig ver-
wachsen. Die Unterschiede zwischen ,hoch‘ und ,niedrig4 sind einfach natur-
nothwendig und ergeben sich von selbst. [...] Hat aber einmal solch’ ein
Auserkorener eine bevorzugte Stellung inne, so nimmt schon nach einiger Zeit
seine ganze Persönlichkeit einen anderen Habitus an; die bevorzugte Stellung
hat sein Wesen in mehrfacher Beziehung vervollkommnet. Und was für den
Einzelnen gilt, ist auch für die Mehrheit wahr; dasselbe Naturgesetz, welches
 
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