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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0821
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Stellenkommentar JGB 293, KSA 5, S. 235 801

Blitzen getroffen ru.'' wird, - der ''selbst'' ein Gewitter ist, welches von '‘mir
außerordentlichen Blitzen schwanger geht: ein Mensch, um den es ''immer''
grollt u brummt u. unheimlich zugeht.“ (KGW IX 5, W I 8, 153, 1-36 u. 154, 1 u.
14. Die ersten beiden Absätze von „Ein Philosoph“ bis „Epicur gewesen war“
quer über die Seite gestrichen). Für JGB hat N. diese dreiteilige Aufzeichnung
über den Philosophen filetiert: Der erste begriffsklärende Absatz, der in den
Verdacht ausläuft, dass die „Weisen“ keine Philosophen, sondern „Philoso-
phen“ seien, also »Liebhaber unweiser Männer4 (ootpoi mit Alpha privativum),
entfällt ersatzlos, obwohl er nicht schlecht zum neuen Leitbild eines (auch mit
sich selbst) experimentierenden, allen Sicherheiten abholden Philosophen der
Zukunft gepasst hätte. Der zweite Abschnitt wird in JGB 7 verarbeitet, der dritte
schließlich in JGB 292.
JGB 292 nähert den Philosophen dem Visionär, dem vates an. Nicht kluge
und kalte Vernunftschlüsse sollen das sein, was ihn zum Philosophen macht,
sondern seine ganz spezifischen Erlebnisse. Gedanken sind ihm Widerfahrnis-
se „wie von Aussen“ her; er ist ihnen ausgeliefert wie der Prophet seinen Einge-
bungen. Der Philosoph (der Zukunft?) erscheint damit nicht als Souverän sei-
nes Denkens, sondern als passiv Inspirationsbedürftiger, dessen Weltverände-
rungspotential freilich nicht geringer eingestuft wird als das der Propheten: Er
gilt als „verhängnissvoller Mensch“, der seinem Schicksal zu entgehen ver-
sucht wie weiland der Prophet Jonas dem göttlichen Auftrag. Dass er mit „Blit-
zen schwanger geht“ ist nur im Blick auf den Philosophen eine ungewohnte
Wendung (vgl. zur Blitz-Metaphorik auch NK KSA 6, 169, 20-23 u. NK KSA 6,
373,18-21 sowie NWB1, 398). Blitzschwangere Wolken waren in der Meteorolo-
gie der Zeit durchaus keine ungewöhnlichen Erscheinungen; metaphorisch
fanden sie auch in die Dichtung Eingang. So heißt es etwa in Wilhelm von
Humboldts Sonett Damokles angesichts des über dem Tische hängenden
Schwertes: „Mir grössre Bangigkeit den Busen enget, / Von der mit Müh’ ich
kaum mich kann ermannen; / Des Schicksals Mächte Wolke mir ersannen, /
Mit Blitzen schwanger, deren Strahl versenget“ (Humboldt 1852, 7, 474). Vgl.
zu JGB 292 z. B. Winteler 2010, 481 f. u. Stegmaier 2012, 110 f.
293.
Die erste Hälfte von JGB 293 gründet auf der von N. durchgestrichenen Auf-
zeichnung KGW IX 2, N VII 2, 125, 6-28 mit roten handschriftlichen Einfügun-
gen: „Egoismus? - Ein Mann, der sagt: ,das gefällt mir, das nehme ich zu eigen
u. will es schützen u. gegen jedermann vertheidigen4 Ein Mann, der eine Sache
führen, reinem Gedanken Treue halten wahren'' einen Entschluß durchführen,
ein Weib festhalten, einen Verwegenen strafen kann und niederwerfen kann.:
 
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