ß Adolf Mayer:
Tiere, am Federkleide der Vögel aus naheliegenden Gründen die Regel
sind. Wird die Erfahrung erweitert, wie im bunten Italien oder gar
auf Neu-Guinea, so findet auch der Geschmack weitere Grenzen zulässig.
Farben, die zu krankhaften Zuständen, zum Welken und Altern und
zum Schmutze in Beziehung stehen, werden auch dieser Erfahrung
wegen als unschön empfunden, und die Empfindung steht in Abhängigkeit
zur abgeänderten Erfahrung, beruht also auf Urteil. Dies alles ganz
unbeschadet der rein optischen Farbenharmonien und Diskrepanzen,
die auf wohltätige Abwechslung angestrengter Sehnerven oder
deren Gegenteil beruhen. Preuß. Jahrb. 1909, 138, S. 460 und 64 und
Himmel und Erde 22, S. 275.
Komplementäre Farben (namentlich in voller Beleuchtung oder
Sättigung) tun einander immer weh, weil sie sich beim Betrachten
steigern bis zum Augenschmerzen. Ein mäßiger Abstand im Farben-
kreise wird erfahrungsgemäß am angenehmsten empfunden.
7. Ähnlich wie mit der Farbenharmonie verhält es sich auch mit
der schönen Linie, deren aesthetischer Wert auch großenteils auf der
Erfahrung beruht. Die unberührte, ihrer eigenen Entwicklung über-
lassene Natur zeigt eben die Linienführung, die wir als schön empfinden.
Beispiel das sich lockende Haar, die Ranke an der sich windenden
Pflanze. Hinderung dieser Linie deutet auf gewalttätigen Eingriff in
die Natur. Man hat wohl einmal versucht, im Jugendstile auch die
Knickung ästhetisch zu Ehren zu bringen, aber nicht mit dauerndem
Erfolg, während die der Pflanze abgesehene gotische Linie, sowie des
Baroks, die mehr dem Tierreich entnommen zu sein scheint, noch immer
ihren Einfluß auf unseren Geschmack übt. Ebenso wird die nach oben
konkave Linie des Gebirges mit steilen Gipfeln und sanften Hängen
als schöne Linie empfunden, während die konvexe Linie, die den Bergen
eine Sackform gibt, als unschön gilt. Ganz erklärlich; denn die erstere
Form bildet sich bei der Aufschüttung, die dem Entstehen eines Berges
entspricht, die letztere durch gewaltsame Erosion, die den Berg mit
Vernichtung bedroht und zunächst steile Abhänge und Klüfte erzeugt.
Also daß auch hier, wie bei den Farben, das dunkle Gefühl des Ent-
stehens und Vergehens mit bei der Bildung unseres Urteils beteiligt ist.
Der Geschmack ist eben Urteil. Das optisch Gleiche wird verschieden
bewertet, je nach diesem Beispiel: Fettfleck und Muster.
8. Was die vielbesprochene Grenze der Malerei von der Bild-
hauerkunst betrifft, so sind hierfür auch teilweise ganz einfache nahe-
liegende, aber von der höheren Ästhetik nur zu häufig vernachlässigte
* Dinge maßgebend. Zur Malerei treibt das Leben im Hause, wo die drei
Tiere, am Federkleide der Vögel aus naheliegenden Gründen die Regel
sind. Wird die Erfahrung erweitert, wie im bunten Italien oder gar
auf Neu-Guinea, so findet auch der Geschmack weitere Grenzen zulässig.
Farben, die zu krankhaften Zuständen, zum Welken und Altern und
zum Schmutze in Beziehung stehen, werden auch dieser Erfahrung
wegen als unschön empfunden, und die Empfindung steht in Abhängigkeit
zur abgeänderten Erfahrung, beruht also auf Urteil. Dies alles ganz
unbeschadet der rein optischen Farbenharmonien und Diskrepanzen,
die auf wohltätige Abwechslung angestrengter Sehnerven oder
deren Gegenteil beruhen. Preuß. Jahrb. 1909, 138, S. 460 und 64 und
Himmel und Erde 22, S. 275.
Komplementäre Farben (namentlich in voller Beleuchtung oder
Sättigung) tun einander immer weh, weil sie sich beim Betrachten
steigern bis zum Augenschmerzen. Ein mäßiger Abstand im Farben-
kreise wird erfahrungsgemäß am angenehmsten empfunden.
7. Ähnlich wie mit der Farbenharmonie verhält es sich auch mit
der schönen Linie, deren aesthetischer Wert auch großenteils auf der
Erfahrung beruht. Die unberührte, ihrer eigenen Entwicklung über-
lassene Natur zeigt eben die Linienführung, die wir als schön empfinden.
Beispiel das sich lockende Haar, die Ranke an der sich windenden
Pflanze. Hinderung dieser Linie deutet auf gewalttätigen Eingriff in
die Natur. Man hat wohl einmal versucht, im Jugendstile auch die
Knickung ästhetisch zu Ehren zu bringen, aber nicht mit dauerndem
Erfolg, während die der Pflanze abgesehene gotische Linie, sowie des
Baroks, die mehr dem Tierreich entnommen zu sein scheint, noch immer
ihren Einfluß auf unseren Geschmack übt. Ebenso wird die nach oben
konkave Linie des Gebirges mit steilen Gipfeln und sanften Hängen
als schöne Linie empfunden, während die konvexe Linie, die den Bergen
eine Sackform gibt, als unschön gilt. Ganz erklärlich; denn die erstere
Form bildet sich bei der Aufschüttung, die dem Entstehen eines Berges
entspricht, die letztere durch gewaltsame Erosion, die den Berg mit
Vernichtung bedroht und zunächst steile Abhänge und Klüfte erzeugt.
Also daß auch hier, wie bei den Farben, das dunkle Gefühl des Ent-
stehens und Vergehens mit bei der Bildung unseres Urteils beteiligt ist.
Der Geschmack ist eben Urteil. Das optisch Gleiche wird verschieden
bewertet, je nach diesem Beispiel: Fettfleck und Muster.
8. Was die vielbesprochene Grenze der Malerei von der Bild-
hauerkunst betrifft, so sind hierfür auch teilweise ganz einfache nahe-
liegende, aber von der höheren Ästhetik nur zu häufig vernachlässigte
* Dinge maßgebend. Zur Malerei treibt das Leben im Hause, wo die drei