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Ernst, Paul; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1928, 12. Abhandlung): Wurzeln der Medizin: Festrede ... am 10. Juni 1928 — Berlin, Leipzig, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.43554#0011
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Wurzeln der Medizin.

n

und Atonie, straffer und schlaffer Zustand. Es gilt den verstärkten
Tonus herabzusetzen (Laxantien), den verminderten zu erhöhen (Ad-
stringentien). Die Lehre bestach durch ihre Einfachheit und ihre ein-
leuchtende Therapie. Asklepiades war in Rom ein Wundermann und ge-
noß die Freundschaft Ciceros und Crassus’. Im Mittelalter schlummert die
Solidarpathologie und überläßt das Feld der Humoralpathologie. Wie
die Humoralpathologie in das chemische Fahrwasser abgelenkt wurde,
so wurde die Solidarpathologie in der neuen Zeit von der Nova scientia
mechanischer Naturerklärung ergriffen und mitgerissen. Von Bacons
induktiver Methode und Begründung der Erfahrung, vom Dualismus
Descartes’, der die Seele vom Leib trennte und diesen nun ganz
der mechanischen Betrachtung überließ, strömten mächtige Einflüsse
aus, von Descartes um so mehr, als er in Anatomie und Physiologie
bewandert war. Im Lande Galileis und Leonardos brachte Sanc-
torinus ein Menschenalter auf der Wage zu, um das Gewicht seines
Körpers Tag und Nacht zu prüfen. Bellini maß Anfang des 17. Jahr-
hunderts die Schnelligkeit der Blutströmung, die Winkel der Gefäßäste,
den Durchmesser der Gefäße. Jn Borellis Vorstellung bewirken gas-
förmige Lebensgeister, die aus dem Gehirn durch die Nerven in die Mus-
keln strömen, deren Anschwellung und Verkürzung, woraus er die Kraft
des Herzens berechnet. Arterien und Venen werden als hydraulische
Röhren, das Herz als ein Stempel, die Brust als Blasebalg, die Ein-
geweide als Sieb betrachtet. Die Blutbewegung ist die wichtigste
Lebenserscheinung, die Wärme entsteht durch Reibung des Blutes an
der Gefäßwand, Fieber ist Vermehrung des Blutumlaufes mit verstärkter
Reibung, der Magensaft löst die Speisen auf, Nervengeister bewirken
die Muskelbewegung und ihr Zurückströmen zum Gehirn erzeugt Emp-
findung, vermittelt also die Berichterstattung von der Peripherie nach
dem Zentrum. Freier Blutkreislauf verbürgt Gesundheit, Vermehrung
oder Verminderung des Kreislaufes verursacht Krankheit, Aufhebung
des Kreislaufes bedeutet Tod. Wir sind mitten in der latrophysik und
hinter ihr lauert die latromechanik und latromathematik, denn
was man zählen, messen, wägen kann, kann man auch berechnen nach
Galileis Grundsatz: „Messe alles und das Nichtmeßbare mache meßbar!“
Goethe, der große Naturschauer, hatte auch für diese mechanische Auf-
fassung Verständnis: „Bewährt den Forscher der Natur Ein frei und ruhig
Schauen, So folge Meßkunst seiner Spur Mit Vorsicht und Vertrauen.“ —
Aber die mechanische Theorie hat wenig Macht über die Therapie, die
dem hippokratischen Grundsatz der Beobachtung und der Erfahrung folgt.
An der Schwelle des 18. Jahrhunderts steht die latromechanik
unter Boerhaave in Blüte. Der Blutkreislauf ist beeinflußt durch die
 
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