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Ernst, Paul; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1928, 12. Abhandlung): Wurzeln der Medizin: Festrede ... am 10. Juni 1928 — Berlin, Leipzig, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.43554#0016
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16

Paul Ernst:

tismus, Mesmerismus, Somnambulismus, Hellsehen (Clairvoyance), der
böse Blick (mal occhio). Von jenen gespenstigen Dämonen des Philo
und Plotin stammen aber alle jene Teufel und Hexen ab, die in den
Körper hineinfahren, von ihm Besitz ergreifen und aus dem Besessenen
durch Beschwörung wieder ausgetrieben werden können (Exorzismus),
um in die Säue zu fahren und mit ihnen zu ersaufen, wie uns Matthaeus,
Markus und Lukas erzählen. Philo aber war ein Zeitgenosse Jesu.
Doch wir sind in die Niederungen des Aberglaubens geraten. Wenden
wir uns freundlicheren Bildern zu. Jch denke vor allem an Kants Schrift:
„Von der Macht des Gemüts durch den bloßen Vorsatz seiner krankhaften
Gefühle Meister zu sein“, worin der Philosoph der Vernunft in ihrer prak-
tischen Bedeutung als Willen eine Heilkraft zubilligt und zeigt, wie er
selbst in seiner eigenen kritischen Gesundheitspflege sozusagen sein eigner
Arzt nach Grundsätzen der bloßen Vernunft sei. Aber die Heillehren der
Vernunft seien mehr diätetischer als therapeutischer Art, wofür seine
eigene wohlüberlegte Lebensordnung spricht. So dürfe die Philosophie
mit Recht auch in der Medizin eine Provinz in Anspruch nehmen, die
vielleicht größer sei, als man wohl meine.
Auf diesem Wege begegnen uns auch die Heilmethoden eines Dubois
in seiner Selbsterziehung (Education de soi meme), Coue mit seiner
Berufung auf Glauben und Einbildungskraft, dann in verschiedener
Abstufung das Gesundbeten, das Händeauflegen, worin der Magnetismus
mitspielt und die Sympathie, aber auch die Christian Science, die die
Krankheit leugnet und sagt: Keiner wird krank der nicht will.
Hierher gehört aber auch die ergötzliche Szene in Hermann Hesses
Kurgast: Der Dichter leidet an Ischias und fährt ins Bad. Ihm ist bange
vor der ersten Begegnung mit dem Kurarzt, den er natürlich für einen
krassen Materialisten hält. Die Stunde schlägt, und im Verlauf des Ge-
spräches fällt aus dem Munde des Arztes das Wort: Könnte nicht viel-
leicht auch eine psychische Bedingung da mitwirken ? Das ist das Stich-
wort des Dichters, der als Animist seine Seele für krank hält, die sich eben
nur im Nervus ischiadicus zufällig austobt.
„Es ist der Geist, der sich den Körper baut!“ So wie der Dichter
denken noch viele, und der Arzt ist nicht wohl beraten, der nicht mit diesen
Anschauungen rechnet, denn die so denken, wollen auch nach ihrer Fasson
selig werden.
IV.
Die vierte Wurzel ist ein jugendliches Gebilde von abendländi-
scher Prägung. Es ist die Anatomie. Wir sind ausgegangen von kos-
mischen Elementen, von physikalischen Atomen, von dämonischen
 
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