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Mayer, Adolf; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1928, 13. Abhandlung): Naturwissenschaftliche Apologetik des Christentums — Berlin, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.43555#0012
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12

Adolf Mayer:

sich, die N aturwissenschaf t mit leichterzubehandeln den Problemen
beschäftigt, für die einfachere mathematische Methoden bereits gefunden
sind. Auf jedes Exempel wird die Probe gemacht, die meisten Ergebnisse
werden experimentell geprüft. Immerhin ist der Erfolg ein klareres
Denken mit weniger phantastischen Seitensprüngen, sowie eine Bän-
digung des hinreißenden Phrasenschwalles. Wie schon weiter oben gesagt:
Jede Bildung ist zugleich auch Verbildung, und namentlich Unbegabte
werden durch das Anlernen vom äußerlich Erfaßten, für das sie keine
genügende Kapazität haben, noch beschränkter als zuvor.
Ich möchte hier noch auf eine besondere Eigenschaft des mensch-
lichen Geistes bei dieser Spezifizierung, der er sich als Fachgelehrter zu
unterwerfen hat, aufmerksam machen, da dieser Gesichtspukt bisher
nur wenig beachtet zu sein scheint. Jeder Gelehrte muß auf seinem
Wissensgebiete zu Hause sein, natürlich. Ein großer Teil des Trainings,
das er durchzumachen sich entschließen muß, ist Gedächtnissache.
Aber das Wesentliche der Wissenschaftlichkeit ist keineswegs Gedächt-
nissache. Das Wesentliche ist Urteil, zu dem die gewußten Tatsachen
nur das Material liefern. Nun stehen alle unsere verschiedenen Geistes-
gaben in dem Verhältnisse zu einander, daß die eine nicht die andere
fördert, sondern eher hemmt, weil sie z. T. aus denselben Kräften unseres
Organismus, die in jedem Individuum beschränkt sind, fließen. Der
große Wisser ist nicht leicht ein scharfer Urteiler und umgekehrt. Wir
nennen den ersteren ein „wandelndes Konversationslexikon“, den
Zweiten einen (im Deutschen fehlt der Ausdruck dafür, also wähle ich
einen holländischen) „Durchschläger“. Nur ganz seltene Menschen (Ge-
nies) vereinigen beides. Es wiederholt sich also hier ganz dasselbe, was
schon für die Arbeitsteilung überhaupt gilt auch für die besonderen Eigen-
schaften der gelehrten Berufe. Für einige wird das Gedächtnis mehr
geübt, für andere das Urteil, und wo man innerhalb eines Berufes das
eine mehr bevorzugt als seiner fruchtbaren Ausübung entspricht, werden
große, auch erzieherische Fehler gemacht, z.B.gilt dies in bezug auf „Ge-
dächtniskram“ insbesondere für das deutsche Schulwesen. Die Natur-
wissenschaften sind aber verhältnismäßig am freiesten davon und lassen
das Buch verrichten, was der Geist nicht kann. Dies zur Erläuterung
meines Ausdrucks von der „besseren Methode“, womit nun freilich lange
nicht Alles gesagt ist. — Das eine Wissen verstopft das andere. Das ist der
Fluch der Fachgelehrsamkeit und gilt für alle Disziplinen, ein Fluch, dem
man erst im Ruhestand entflieht.
Meine F orderung ist nun einfach die, auchfürdiehöheren Zwecke
der Kulturwissenschaften von der besseren Methode ihrer
jüngeren Geschwister Gebrauch zu machen. Natürlich weiß ich, daß
 
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