14
Adolf Mayer:
politischen Macht seines Staates (Dietrich Schäfer). Meist blieb es bei
der Quellenforschung, die nur Material sicherte für weitere Forschung
und bei der künstlerisch-rethorischen Verwertung des Stoffes zu vater-
ländischen Zwecken (Treitschke): Gelehrtheit und Kunst, aber wenig
systematische Wissenschaft.
Ich weise auf diese mir vor Augen schwimmenden, wenn auch viel-
leicht nicht ganz sicher feststehenden Tatsachen, um die Naturwissen-
schaft bis zu einem gewissen Grade zu entschuldigen, wenn sie so auf-
fallende, wenn auch nicht deutlich entwickelte Gesetzmäßigkeiten des
historischen Geschehens übersehen konnte und heute in ihrer über-
wältigenden Mehrheit so geringschätzig urteilt über Religion und Kirche,
als ob es sich dabei um überwundene Kinderkrankheiten der jetzt erst
erwachsenen Menschheit handelte, wie es bei den Führern der Geistes-
richtung und Agitation, die sich Monismus nennt, der Fall ist (Haeckel
und Ostwald), oder höchstens nur die subjektiv erbauliche Seite der
Religion achselzuckend gelten läßt („Religion ist Privatsache“ der Sozial-
demokratie). Während doch die ganze Weltgeschichte, die Politik aller
Staaten aufs deutlichste beweist, daß die Religion und deren organi-
satorische Verkörperung in der Kirche in allererster Linie eine ausschlag-
gebende soziale Angelegenheit und also auch eine solche des Staates ist.
Kirche und Staat, Staat und Kirche, die Bedingung und die Stütze
des einen durch den anderen, Kampf der beiden miteinander, Unter-
drückung des einen durch den anderen ist ja doch Zettel und Einschlag
beinahe der ganzen Weltgeschichte.
„Die Kirche eine mittelalterliche Erscheinung“ ist dagegen ein Satz
der modernen naturwissenschaftlichen Weltanschauung. (Bei den
Naturwissenschaften erstreckt sich das Mittelalter bekanntlich bis zu
Lavoisier, dem Begründer der quantitativen Chemie.) Die Zeugnisse
dagegen sind Legio, nur eben, dem Entwicklungsstände der Geschichts-
wissenschaft entsprechend, nicht zum Gebrauche der weniger Einsichtigen
zu klaren greifbaren Kulturgesetzen gestaltet.
Religion nur ein Phänomen des menschlichen Geistes, im höchsten
Falle eine Blüte, keine Frucht, die Samen liefert, für neue soziale Er-
scheinungen ? Das ist in der Tat die stille Herzensmeinung der allermeisten
modernen Naturwissenschaftler, und wenn einer in der Senatssitzung
oder in der Akademie dem Kollegen Theologen die Hand drückt, so
schmunzelt er, wie dereinst die römischen Auguren und denkt wohl, es
wird nicht mehr lange dauern.
Demgegenüber gilt es m. E. ein Beispiel zu geben, und eines genügt,
wenn es nur ausschlaggebend ist. Ich wähle das folgende. Max Weber,
einer der tiefschürfendsten Gelehrten seiner Zeit, dazu seiner Geistes-
Adolf Mayer:
politischen Macht seines Staates (Dietrich Schäfer). Meist blieb es bei
der Quellenforschung, die nur Material sicherte für weitere Forschung
und bei der künstlerisch-rethorischen Verwertung des Stoffes zu vater-
ländischen Zwecken (Treitschke): Gelehrtheit und Kunst, aber wenig
systematische Wissenschaft.
Ich weise auf diese mir vor Augen schwimmenden, wenn auch viel-
leicht nicht ganz sicher feststehenden Tatsachen, um die Naturwissen-
schaft bis zu einem gewissen Grade zu entschuldigen, wenn sie so auf-
fallende, wenn auch nicht deutlich entwickelte Gesetzmäßigkeiten des
historischen Geschehens übersehen konnte und heute in ihrer über-
wältigenden Mehrheit so geringschätzig urteilt über Religion und Kirche,
als ob es sich dabei um überwundene Kinderkrankheiten der jetzt erst
erwachsenen Menschheit handelte, wie es bei den Führern der Geistes-
richtung und Agitation, die sich Monismus nennt, der Fall ist (Haeckel
und Ostwald), oder höchstens nur die subjektiv erbauliche Seite der
Religion achselzuckend gelten läßt („Religion ist Privatsache“ der Sozial-
demokratie). Während doch die ganze Weltgeschichte, die Politik aller
Staaten aufs deutlichste beweist, daß die Religion und deren organi-
satorische Verkörperung in der Kirche in allererster Linie eine ausschlag-
gebende soziale Angelegenheit und also auch eine solche des Staates ist.
Kirche und Staat, Staat und Kirche, die Bedingung und die Stütze
des einen durch den anderen, Kampf der beiden miteinander, Unter-
drückung des einen durch den anderen ist ja doch Zettel und Einschlag
beinahe der ganzen Weltgeschichte.
„Die Kirche eine mittelalterliche Erscheinung“ ist dagegen ein Satz
der modernen naturwissenschaftlichen Weltanschauung. (Bei den
Naturwissenschaften erstreckt sich das Mittelalter bekanntlich bis zu
Lavoisier, dem Begründer der quantitativen Chemie.) Die Zeugnisse
dagegen sind Legio, nur eben, dem Entwicklungsstände der Geschichts-
wissenschaft entsprechend, nicht zum Gebrauche der weniger Einsichtigen
zu klaren greifbaren Kulturgesetzen gestaltet.
Religion nur ein Phänomen des menschlichen Geistes, im höchsten
Falle eine Blüte, keine Frucht, die Samen liefert, für neue soziale Er-
scheinungen ? Das ist in der Tat die stille Herzensmeinung der allermeisten
modernen Naturwissenschaftler, und wenn einer in der Senatssitzung
oder in der Akademie dem Kollegen Theologen die Hand drückt, so
schmunzelt er, wie dereinst die römischen Auguren und denkt wohl, es
wird nicht mehr lange dauern.
Demgegenüber gilt es m. E. ein Beispiel zu geben, und eines genügt,
wenn es nur ausschlaggebend ist. Ich wähle das folgende. Max Weber,
einer der tiefschürfendsten Gelehrten seiner Zeit, dazu seiner Geistes-