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P. Vogel:
Die so skizzierten Anschauungen sind freilich durch die an-
geführten Beobachtungen in ihren Einzelheiten nicht streng be-
wiesen. Es handelt sich ja hier um recht komplizierte menschliche
Reaktionsweisen, die sich nicht in der gleichen Weise zahlenmäßig
festhalten lassen wie die Antworten eines tierischen Präparates.
Zudem waren unsere Versuche ursprünglich in einer ganz anderen
Richtung angesetzt. Dennoch liegt es auf der Hand, daß eine große
Zahl bekannter Tatsachen dieses Gebietes sich ohne Zwang diesen
Anschauungen einfügt. Die alte Irradiationshypothese postuliert
zu einseitig die besondere Bedeutung des intensiven Momentes der
wirksamen Reize, und sie bedarf einschneidender Modifikationen,
wenn, wie in unserem Falle, die Irradiation nicht wahllos alle vege-
tativen Apparate ergreift, sondern wenn sie in bestimmter Richtung
auswählt. Im Rahmen der von uns gegebenen Vorstellung wird die
Bedeutung der Reizstärke für das Zustandekommen der vegetativen
Erscheinung keineswegs geleugnet. Sie ist aber nicht allein aus-
schlaggebend, sondern sie ist ein Faktor in der Reizgestaltung
neben anderen. Endlich soll hier nicht unerwähnt bleiben, daß die
physiologische Charakterisierung der vegetativen Apparate im
Hirnstamm als iterativer Systeme, die auf bestimmte zeitliche Reiz-
formen optimal ansprechen, in den letzten Jahren eine besonders
exakte experimentelle Stütze bekommen hat, durch die Versuche
von Hess (8) über den Schlaf. Hess ist es gelungen, bei Katzen
durch direkte elektrische Reizung des Hirnstammes Schlaf hervor-
zurufen, wenn er Reizserien bestimmter Frequenz und bestimmter
Dauer anwandte. Vielleicht gehören das Gähnen und die Müdigkeit,
die unsere Vpn. während der wiederholten galvanischen Schwindel-
versuche zeigten, in diesen Bereich. Ob sich mit den bisher auf-
gezählten Bedingungen in allen Fällen das Zustandekommen vege-
tativer Erscheinungen im Schwindel physiologisch erfassen läßt, ist
gegenwärtig nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Wahrscheinlich
ist es, daß noch andere Momente eine Rolle spielen, die aber noch
nicht hinreichend klargestellt sind. So pflegt nach M. H. Fischer
eine recht heftige Nausea dann einzutreten, wenn die Reizsituation
so beschaffen ist, daß man eine Asymmetrie der Vorgänge in beiden
Labyrinthen annehmen darf, wenn also etwa die zwei Labyrinthe
zur Schwerkraftrichtung ungleich orientiert sind. Da in allen
Schwindelversuchen asymmetrisch ansetzende Reize eine besondere
Valenz haben, erscheint uns dieser Hinweis wichtig zu sein. An-
geführt worden ist weiter die nervöse Disposition, die verschiedene
P. Vogel:
Die so skizzierten Anschauungen sind freilich durch die an-
geführten Beobachtungen in ihren Einzelheiten nicht streng be-
wiesen. Es handelt sich ja hier um recht komplizierte menschliche
Reaktionsweisen, die sich nicht in der gleichen Weise zahlenmäßig
festhalten lassen wie die Antworten eines tierischen Präparates.
Zudem waren unsere Versuche ursprünglich in einer ganz anderen
Richtung angesetzt. Dennoch liegt es auf der Hand, daß eine große
Zahl bekannter Tatsachen dieses Gebietes sich ohne Zwang diesen
Anschauungen einfügt. Die alte Irradiationshypothese postuliert
zu einseitig die besondere Bedeutung des intensiven Momentes der
wirksamen Reize, und sie bedarf einschneidender Modifikationen,
wenn, wie in unserem Falle, die Irradiation nicht wahllos alle vege-
tativen Apparate ergreift, sondern wenn sie in bestimmter Richtung
auswählt. Im Rahmen der von uns gegebenen Vorstellung wird die
Bedeutung der Reizstärke für das Zustandekommen der vegetativen
Erscheinung keineswegs geleugnet. Sie ist aber nicht allein aus-
schlaggebend, sondern sie ist ein Faktor in der Reizgestaltung
neben anderen. Endlich soll hier nicht unerwähnt bleiben, daß die
physiologische Charakterisierung der vegetativen Apparate im
Hirnstamm als iterativer Systeme, die auf bestimmte zeitliche Reiz-
formen optimal ansprechen, in den letzten Jahren eine besonders
exakte experimentelle Stütze bekommen hat, durch die Versuche
von Hess (8) über den Schlaf. Hess ist es gelungen, bei Katzen
durch direkte elektrische Reizung des Hirnstammes Schlaf hervor-
zurufen, wenn er Reizserien bestimmter Frequenz und bestimmter
Dauer anwandte. Vielleicht gehören das Gähnen und die Müdigkeit,
die unsere Vpn. während der wiederholten galvanischen Schwindel-
versuche zeigten, in diesen Bereich. Ob sich mit den bisher auf-
gezählten Bedingungen in allen Fällen das Zustandekommen vege-
tativer Erscheinungen im Schwindel physiologisch erfassen läßt, ist
gegenwärtig nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Wahrscheinlich
ist es, daß noch andere Momente eine Rolle spielen, die aber noch
nicht hinreichend klargestellt sind. So pflegt nach M. H. Fischer
eine recht heftige Nausea dann einzutreten, wenn die Reizsituation
so beschaffen ist, daß man eine Asymmetrie der Vorgänge in beiden
Labyrinthen annehmen darf, wenn also etwa die zwei Labyrinthe
zur Schwerkraftrichtung ungleich orientiert sind. Da in allen
Schwindelversuchen asymmetrisch ansetzende Reize eine besondere
Valenz haben, erscheint uns dieser Hinweis wichtig zu sein. An-
geführt worden ist weiter die nervöse Disposition, die verschiedene