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Eichholtz, Fritz; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1935, 8. Abhandlung): Der biologische Gedanke in der naturwissenschaftlichen Medizin — Heidelberg, 1936

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https://doi.org/10.11588/diglit.43720#0009
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in der naturwissenschaftlichen Medizin

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anschauliches Gedankengebäude, sie entbehrt auch der wichtig-
sten allgemein-biologischen Gedankengänge. Sie ist entstanden
als Reaktion gegen eine extrem-biologische Anschauung, die in
Fieber, in Erbrechen, in Durchfall, in Blutungen und anderen
Krankheitszeichen besonders zweckmäßige Äußerungen der Natur-
heilkraft sah, und die daher zur Behandlung von Krankheiten
nichts kannte als immer neue Aderlässe, Vomier- und Purgier-
kuren und ähnliches. Die Homöopathie ist von ihrem Anbeginn,
ebenso wie heute, ein rein ärztliches Gedankengebäude. Liegt
für die andern die Ursache der Krankheit
in falscher Atemführung,
in verfälschter und entwerteter Nahrung,
im Versagen des Lebensrhythmus oder der Naturheilkraft,
im Mangel an Licht, Luft, Wasser
oder an der Ungunst des gestirnten Himmels,
so kennt die ursprünglich Hahnemann sehe Lehre, dessen „Orga-
non“ noch immer das wesentlichste Bildungsgut der Homöopathie
ist, drei verschiedene Krankheitsursachen: die Sykosis, die Syphilis
und die Scabies. Diese Lehre wird heute noch von den extremen
Positivisten vertreten und in ungezählten Exemplaren der neuauf-
gelegten Hahnemann sehen Schriften im Volk verbreitet.
Ebenso eindeutig ist die spekulative Grundlage der Homöo-
pathie in der Lehre von der Krankheitsbehandlung: Sie beruht
auf zwei therapeutischen Prinzipien spekulativer Natur: Während
die Potenzlehre, wie die neuere Entwicklung gezeigt hat,
weitgehender Revision fähig ist und in neuerer Zeit durch die
Arndt-Schultz sehe Regel und durch die Phasenlehre von Köt-
schau eine gewisse experimentelle Untermauerung erfahren hat,
stellt der Gedanke „Similia Similibus“ den feststehenden
Glaubensgrundsatz dar, in dem die Lebenslehre der Homöopathie
ihren wesentlichen Ausdruck gefunden hat.
Dieser Glaubensgrundsatz entspricht in keiner Weise, wie
öfters dargestellt wird, den Theorien und Hypothesen der natur-
wissenschaftlichen Medizin. Denn die Naturwissenschaften schreiten
mit zunehmender Erkenntnis von einer Theorie zur andern. In
der Tat haben diese Theorien nur die eine wesentliche Bedeutung,
daß die als wahr erkannten Tatsachen mit ihrer Hilfe an den
richtigen Ort gestellt werden, sodaß aus dem Durcheinander
der Dinge und Kräfte eine sinnvolle Ordnung entsteht. Die Theorie
hat ihr Recht verloren, wenn eine einzige neue Tatsache in dieser
 
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