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Eichholtz, Fritz; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1935, 8. Abhandlung): Der biologische Gedanke in der naturwissenschaftlichen Medizin — Heidelberg, 1936

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https://doi.org/10.11588/diglit.43720#0019
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in der naturwissenschaftlichen Medizin

19

An dieser Stelle muß auch die heutige Kräuterlehre erwähnt
werden, die von vielen einsichtigen Ärzten und Pharmakologen
als gesunde Reaktion auf die übertriebene Verwendung von
chemischen Produkten betrachtet wird. Unter diesen Heilkräutern
finden sich solche, die für die Krankheitsbehandlung völlig unent-
behrlich sind, und die seit vielen Jahren von der Pharmakologie
mit großer Liebe gepflegt werden, die aber leider beim praktischen
Arzt nicht das Ansehen genießen, das sie verdienen. Es sei nur
erinnert an Kamille, Pfefferminz, Baldrian, Fenchel und Arnika.
Wir betrachten die Liebe zu den Heilkräutern aber auch als
Gegengewicht gegen die unsinnigen Verirrungen der Kochkunst.
Der durch das gebräuchliche Abkochen entstehende Mineralmangel
und ebenso der zerstörte Vitamingehalt erfuhren eine sinnvolle
Ergänzung durch den gleichzeitigen Genuß von Heilkräutern.
Zur Zeit erfreuen sich die mittelalterlichen Kräuterbücher einer
besonderen Nachfrage. Einzelne Teile ihres Inhaltes werden der
Wissenschaft verständlicher, wenn man die Lebensformen der
damaligen Städte berücksichtigt, in denen Nährschäden und Avi-
taminosen in ungeheurem Ausmaße auftraten. Die Berichte jener
Zeit über die Häufung von Skorbut, Wassersucht, Nierensteinen,
Ammenorrhoe sprechen eine erschütternde Sprache. Liest man in
alten Büchern z. B. die Kapitel über Brennessel und Kresse, die
in Form der Frühjahrskuren verordnet wurden, so ist das daher
nicht wesentlich verschieden von einem heutigen klinischen Kolleg
über Avitaminosen.
Ähnliche eindrucksvolle Wirkungen der Heilkräuter durch ihren
natürlichen Gehalt an Vitaminen und Mineralsalzen sind auch
heute noch gelegentlich zu sehen, insbesonders bei extremen
Verirrungen der Lebensweise. Indessen haben die Pflanzen und
Drogen für die heutige Zeit eine größere Bedeutung als Träger
der spezifischen ätherischen Öle, Glykoside, Gerbstoffe u. a.
Es wird häufig übersehen, daß die Naturheillehre ge-
meinsam mit der Schulmedizin aus der gleichen Wurzel stammt,
und daß sie einige ihrer wichtigsten Lehrmeinungen einer früheren
Schulmedizin entnahm. Begreiflicherweise haben die damaligen
Ideen und Erfahrungen auch in der modernen Medizin nachgewirkt,
und einige biologische Behandlungsverfahren wie Aderlaß, Abführ-
kuren, Fiebertherapie sind niemals ganz vergessen worden. Sie
sind heute Allgemeingut der Klinik, die sich auch der Blutegel-
behandlung wieder angenommen hat (Butzengeiger u. a.).
 
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