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Eichholtz, Fritz; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1935, 8. Abhandlung): Der biologische Gedanke in der naturwissenschaftlichen Medizin — Heidelberg, 1936

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https://doi.org/10.11588/diglit.43720#0034
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Fritz Eichholtz : Der biologische Gedanke

Untersuchung ist für die Betäubung wesentlich eine bestimmte,
nämlich eine 0,05 molare Konzentration des lipoidlöslichen Nar-
kosemittels im Gehirn. Dies wurde angesehen als der endgültige
Schlußstein der theoretischen Narkoselehre.
Solch eine Lehre ist restlos unbiologisch. Es ist festgestellt
worden, daß die Empfindlichkeit des Organismus gegen Arznei-
stoffe und Gifte von vielen Nebenumständen abhängig ist. Dazu
gehören der Mineralisationszustand, das Gleichgewicht der Hor-
mone, der Zustand des Stoffwechsels, pathologische Veränderungen
und Vorgänge und die gleichzeitige Verabreichung anderer Arz-
neistoffe. Solche Einflüsse können die Reaktionsweise des Tieres
grundlegend verändern, sodaß z. B. in den Kaliumchloridver-
suchen von Bless zwei Drittel des Narkosemittels erspart werden.
Eine solche Darstellung ist aber auch gefährlich, denn sie ver-
leitet leicht dazu, diejenigen Begleitumstände zu vernachlässigen,
durch die der Ablauf der Narkose verbessert wird.
Es ist nämlich bekannt, daß alle Maßnahmen, die das natür-
liche Einschlafen erleichtern, gleichzeitig eine Ersparnis an Nar-
kosemitteln bedeuten; dazu gehört das Verdunkeln des Zimmers,
das Fernhalten von Geräuschen, das Einnehmen der individuellen
Schlafstellung im gewohnten Bett u. a. Deshalb hat auch die
medikamentöse Vorbereitung der Narkose heute eine ganz andere
Bedeutung als in einer Zeit, in der die Lipoidtheorie der Narkose
nicht nur als wertvoller Besitz der Wissenschaft, sondern darüber
hinaus als Leitgedanke der praktischen Narkoselehre wirksam
war. Keine Theorie kann an diesen Tatsachen vorbeigehen. Früher
oder später wird es notwendig werden, die gesamte Pharmako-
logie neu aufzubauen und die verstreuten Einzeltatsachen im Sinne
der biologischen Einheit und Ganzheit zusammenzufassen.
Zum Schluß soll das besondere Beispiel der Lokalanästhesie
herangezogen werden. Wie man für die allgemeine Narkose an-
nahm, daß eine bestimmte Konzentration des Narkosemittels im
Gehirn zu einer Narkose von bestimmter Tiefe führen müsse, so
faßte man auch den Vorgang der Lokalanästhesie rein mechanisch
auf und glaubte, daß eine bestimmte Menge dieser Stoffe, in
gleicher Konzentration an die gleiche Stelle des Gewebes gebracht,
immer die gleiche Wirkung haben müsse. Viele Praktiker wissen
darüber hinaus nur noch, daß man Adrenalin zusetzen muß.
Aber auch die Wirkung des Novocains ist abhängig von dem
Zustand des lebenden Gewebes, seiner Temperatur, seiner Stoff-
 
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