Johann Daniel Achelis
Das Entscheidende scheint mir nun aber zu sein, daß hier
offenbar nicht nur physikalische Bestimmungen am menschlichen
Organismus vorgenommen wurden, sondern daß diese Messungen
einer biologischen Theorie dienten. Der Körper ist für Sanctorio
in einer dauernden Renovatio begriffen. Und die Größe der Ver-
luste und ihr Ersatz durch die Nahrung sind durch die Wägung
bestimmt. Es wird so eigentlich im Widerspruch zum Titel, der
eine statische Medizin verspricht, eine dynamische Auffassung
vertreten. Mit der Waage, dem Instrument zur Bestimmung von
Gleichgewichten auf Grund der Hebelgesetze, wird gezeigt, daß
der Organismus in dauerndem Ungleichgewicht ist, und daß er
durch die Nahrungszufuhr immer wieder ins Gleichgewicht ge-
bracht werden muß.
Die Schwere der Dinge ist durch die Antike und durch das
Mittelalter hindurch, wohl bis über Nikolaus Cusanus hinaus,
eine Qualität der Dinge, ebenso wie Wärme und Kälte und —
paradox für die Physik -— auch die Leichtigkeit. Ein gut Teil
der antiken Physik ist ja im Grunde eine Physiologie der mensch-
lichen Sinne, und man verfehlt sie, wenn man sie physikalisch
kritisiert. Dem Augenschein entspricht es — wie die Vexierfrage
von dem Pfund Federn und dem Pfund Blei zeigt —, wenn die
Schwere nicht als eine Quantität, sondern als eine Qualität auf-
gefaßt wird.
Die qualitative Schwere liegt auch zugrunde, wenn bei Cusanus
der lebende Organismus als gewichtiger als der tote bezeichnet
wird. Und dieser Schwerebegriff wird offenbar hier bei Sanctorio
wenigstens zum Teil überwunden. Es wird gewogen, wie man
auf dem Wochenmarkt oder in der Apotheke wog, Pfund für
Pfund, und Unze für Unze, ohne Rücksicht auf die Natur der
Stoffe, auf das spezifische Gewicht, mit dem sich vor allem auch
die Araber so intensiv beschäftigt hatten. Nur wenn von den
Affekten die Rede ist, heißt es dann, daß in der Trauer die
Leichtigkeit entweicht und der Körper schwerer zurückbleibt, —
wobei dann offenbar wieder die Empfindung an Stelle der Mes-
sung tritt.
Während nun also im großen Ganzen das Verfahren der Unter-
suchung ein quantitatives geworden ist, wird durch die Einordnung
der Resultate in einen biologischen Sinnzusammenhang doch
wieder, nur in ganz anderer Form, eine Qualität eingeführt. Ge-
messen werden eben nicht mehr Gewichte, sondern der Stoff-
Das Entscheidende scheint mir nun aber zu sein, daß hier
offenbar nicht nur physikalische Bestimmungen am menschlichen
Organismus vorgenommen wurden, sondern daß diese Messungen
einer biologischen Theorie dienten. Der Körper ist für Sanctorio
in einer dauernden Renovatio begriffen. Und die Größe der Ver-
luste und ihr Ersatz durch die Nahrung sind durch die Wägung
bestimmt. Es wird so eigentlich im Widerspruch zum Titel, der
eine statische Medizin verspricht, eine dynamische Auffassung
vertreten. Mit der Waage, dem Instrument zur Bestimmung von
Gleichgewichten auf Grund der Hebelgesetze, wird gezeigt, daß
der Organismus in dauerndem Ungleichgewicht ist, und daß er
durch die Nahrungszufuhr immer wieder ins Gleichgewicht ge-
bracht werden muß.
Die Schwere der Dinge ist durch die Antike und durch das
Mittelalter hindurch, wohl bis über Nikolaus Cusanus hinaus,
eine Qualität der Dinge, ebenso wie Wärme und Kälte und —
paradox für die Physik -— auch die Leichtigkeit. Ein gut Teil
der antiken Physik ist ja im Grunde eine Physiologie der mensch-
lichen Sinne, und man verfehlt sie, wenn man sie physikalisch
kritisiert. Dem Augenschein entspricht es — wie die Vexierfrage
von dem Pfund Federn und dem Pfund Blei zeigt —, wenn die
Schwere nicht als eine Quantität, sondern als eine Qualität auf-
gefaßt wird.
Die qualitative Schwere liegt auch zugrunde, wenn bei Cusanus
der lebende Organismus als gewichtiger als der tote bezeichnet
wird. Und dieser Schwerebegriff wird offenbar hier bei Sanctorio
wenigstens zum Teil überwunden. Es wird gewogen, wie man
auf dem Wochenmarkt oder in der Apotheke wog, Pfund für
Pfund, und Unze für Unze, ohne Rücksicht auf die Natur der
Stoffe, auf das spezifische Gewicht, mit dem sich vor allem auch
die Araber so intensiv beschäftigt hatten. Nur wenn von den
Affekten die Rede ist, heißt es dann, daß in der Trauer die
Leichtigkeit entweicht und der Körper schwerer zurückbleibt, —
wobei dann offenbar wieder die Empfindung an Stelle der Mes-
sung tritt.
Während nun also im großen Ganzen das Verfahren der Unter-
suchung ein quantitatives geworden ist, wird durch die Einordnung
der Resultate in einen biologischen Sinnzusammenhang doch
wieder, nur in ganz anderer Form, eine Qualität eingeführt. Ge-
messen werden eben nicht mehr Gewichte, sondern der Stoff-