Metadaten

Achelis, Johann Daniel; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1938, 3. Abhandlung): Die Ernährungsphysiologie des 17. Jahrhunderts: Festvortrag bei der Stiftungsfeier der Akademie am 22. Mai 1938 — Heidelberg, 1938

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43749#0019
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Die Ernährungsphysiologie des 17. Jahrhunderts

19

Wenn ein Kranker in seinen letzten Stunden Sanctorio aus
Padua an sein Bett gerufen hätte, so wäre ein gebildeter und
durch seine Schrift hochberühmter Mann nach antiken Regeln in
sein Zimmer getreten, und der Kranke hätte vielleicht mit einem
Gespräch über die wahre Bildung des Arztes aus dem Leben
scheiden können. Hätte Borelli nach seinen wissenschaftlichen
Regeln, wie mancher nach ihm, die Praxis betrieben, so wäre
der einzige Trost des Kranken geblieben, daß er an einer an
sich wahren Wissenschaft zu Grunde gehe, — bei van Helmont
als Arzt mag das anders gewesen sein. Von den Voraussetzungen
dieser Medizin hätte der Kranke wohl wenig gehört, aber ihm
wäre, soviel in menschlicher Macht liegt, geholfen gewesen. Und
erst wir späteren hören aus der posthumen Schrift, mit welchen
Gedanken sich van Helmont um die wahre Natur bemühte.
So sind ein Bildungsideal, eine abstrakt dogmatische Wissen-
schaft und ein Glaube an die Sendung des Menschen und an die
Unverrückbarkeit der Natur die drei Ursprünge, aus denen unsere
drei Physiologen der Ernährung stammen. Und es ist wohl kein
Zufall, dass zwei Italiener und ein Flame diese drei Möglich-
keiten vertreten.
Gleichzeitig sind es aber auch, wie wir zeigen konnten, die
drei Methoden unserer eigenen Ernährungsphysiologie, die Bilanz,
die physikalische (bei uns energetische) Analyse und die chemisch-
qualitative Erforschung mit der Einbeziehung des Wachstums, —
dessen Untersuchung übrigens tatsächlich in bevorzugtem Maße
qualitative Aussagen über die Ernährung erlaubt, — die in diesen
drei Auffassungen ihren Ursprung nehmen. Und bisweilen will
es auch scheinen, als bestünde zwischen unseren Technikern des
Lebens und Borelli eine gewisse Verwandtschaft in der mensch-
lichen Struktur. — Aber ist das nicht etwas wenig, was von diesen
in sich geschlossenen Gestalten der Vergangenheit noch lebendig
geblieben ist, die ich versucht habe, wenigstens in Umrissen
zusammen mit ihrer Wissenschaft vor Ihnen erscheinen zu lassen?
Offenbar sind doch diese drei Methoden heute von ihrem
historischen Ursprung weitgehend gelöst, sie sind im 19. Jahr-
hundert säkularisiert worden. Es hat sich hier ein Sinn- und
Bedeutungswandel auch der Methoden vollzogen. Jedenfalls halte
ich es für einen Mißbrauch der ideengeschichtlichen Analyse, wenn
man etwa jeden, der physikalische Untersuchungen an den Lebe-
wesen anstellt, als Cartesianer bezeichnen würde. Das ist falsch,
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften