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Johann Daniel Achelis
so sicher wie die Untersuchung der Assimilation noch nicht den
Rückschluß auf ein aktives Christentum erlaubt, weil dieser wis-
senschaftliche Ansatz einmal bei van Helmont aus dem Geiste
der deutschen Mystik geboren wurde. Wer sich mit Würmern
beschäftigt, ist nicht deshalb schon ein Ägypter, weil der Wurm
in der alten ägyptischen Medizin eine so große Rolle gespielt hat.
Weder Terminologie noch Gegenstand macht den Menschen aus.
Bei allen derartigen Deutekünsten muß wohl ein methodischer
Fehler der Geisteswissenschaft vorliegen. Sonst wäre es nicht
erklärlich, daß diese, wie ich zugeben muß, verführerischen Ent-
larvungen durch Zurückführung einer gegenwärtigen Terminologie
auf eine vergangene Zeit, in der sie einmal weltanschauliche
Bedeutung besaß, immer wieder geschehen.
Ich muß diese Bemerkungen einschieben, um die historische
Analyse, die ich zu geben versuchte, vor einigen Mißdeutungen
zu wahren. So gewiß es sich in unserer bewegten Geschichte
der Medizin nicht um eine allmähliche Häufung von Tatsachen
und Entdeckungen handelt, so sicher ist es auch, daß man aus
der Historie nun nicht die These ableiten kann, daß unsere Gegen-
wart nur eklektisch sei und daß bei uns mit einer aus neuen
Quellen stammenden Theorie etwas entscheidendes erreicht werden
könnte. Wir sind nicht eklektisch, wie die ideengeschichtliche
Analyse scheinbar zeigt, sondern wir sind bei der Natur auf den
verschiedensten Wegen etwas gründlicher in die Lehre gegangen.
Und eine neue Theorie, die nicht aus neuer Erfahrung erwachsen
wäre, würde nur allzu bald dogmatisiert sein und damit der
Naturforschung das Leben nehmen.
Jene drei Ursprünge der Physiologie des 17. Jahrhunderts,
das Bildungsideal, die dogmatische Wissenschaft und die um-
fassende Naturphilosophie, kehren im 19. Jahrhundert in Goethe,
dem Materialismus und in Schelling noch einmal wieder. Aber
auch in dieser uns zeitlich näher stehenden Form sind sie nicht
mehr verbindlich.
Zunächst muß man feststellen, daß es uns versagt ist, noch
Naturwissenschaft mit dem Ziele der persönlichen Bildung zu
betreiben, und das wissenschaftlich Erkannte dann gleichsam als
Wappen zu führen, wie das Goethe mit der Urpflanze getan hat,
Wir glauben auch, — vielleicht nur noch nicht genug, — die
Gefahren zu kennen, die entstehen, wenn aus der Beschäftigung
mit der Materie ein Materialismus, aus der mit der Mechanik eine
Johann Daniel Achelis
so sicher wie die Untersuchung der Assimilation noch nicht den
Rückschluß auf ein aktives Christentum erlaubt, weil dieser wis-
senschaftliche Ansatz einmal bei van Helmont aus dem Geiste
der deutschen Mystik geboren wurde. Wer sich mit Würmern
beschäftigt, ist nicht deshalb schon ein Ägypter, weil der Wurm
in der alten ägyptischen Medizin eine so große Rolle gespielt hat.
Weder Terminologie noch Gegenstand macht den Menschen aus.
Bei allen derartigen Deutekünsten muß wohl ein methodischer
Fehler der Geisteswissenschaft vorliegen. Sonst wäre es nicht
erklärlich, daß diese, wie ich zugeben muß, verführerischen Ent-
larvungen durch Zurückführung einer gegenwärtigen Terminologie
auf eine vergangene Zeit, in der sie einmal weltanschauliche
Bedeutung besaß, immer wieder geschehen.
Ich muß diese Bemerkungen einschieben, um die historische
Analyse, die ich zu geben versuchte, vor einigen Mißdeutungen
zu wahren. So gewiß es sich in unserer bewegten Geschichte
der Medizin nicht um eine allmähliche Häufung von Tatsachen
und Entdeckungen handelt, so sicher ist es auch, daß man aus
der Historie nun nicht die These ableiten kann, daß unsere Gegen-
wart nur eklektisch sei und daß bei uns mit einer aus neuen
Quellen stammenden Theorie etwas entscheidendes erreicht werden
könnte. Wir sind nicht eklektisch, wie die ideengeschichtliche
Analyse scheinbar zeigt, sondern wir sind bei der Natur auf den
verschiedensten Wegen etwas gründlicher in die Lehre gegangen.
Und eine neue Theorie, die nicht aus neuer Erfahrung erwachsen
wäre, würde nur allzu bald dogmatisiert sein und damit der
Naturforschung das Leben nehmen.
Jene drei Ursprünge der Physiologie des 17. Jahrhunderts,
das Bildungsideal, die dogmatische Wissenschaft und die um-
fassende Naturphilosophie, kehren im 19. Jahrhundert in Goethe,
dem Materialismus und in Schelling noch einmal wieder. Aber
auch in dieser uns zeitlich näher stehenden Form sind sie nicht
mehr verbindlich.
Zunächst muß man feststellen, daß es uns versagt ist, noch
Naturwissenschaft mit dem Ziele der persönlichen Bildung zu
betreiben, und das wissenschaftlich Erkannte dann gleichsam als
Wappen zu führen, wie das Goethe mit der Urpflanze getan hat,
Wir glauben auch, — vielleicht nur noch nicht genug, — die
Gefahren zu kennen, die entstehen, wenn aus der Beschäftigung
mit der Materie ein Materialismus, aus der mit der Mechanik eine