10 (B. 5)
P. ERNST:
Aber den größten Dienst hat ARNOLD 1879 der Geschwulst-
lehre dadurch geleistet, daß er in den Geschwulstzellen die gleichen
Kernteilungen fand, wie sie zuvor von anderen Forschern an
Pflanzen- und Tierzellen, beim embryonalen Wachstum, von
FLEMMiNG und EBERTH bei der Entzündung und Regeneration
beschrieben worden waren. Damit war die grundsätzliche
Übereinstimmung des normalen und pathologischen Wachstums
festgestellt.
Bis in alle Einzelheiten verfolgt er die verschiedenen Phasen
der Mitose oder Karyokinese, die Zunahme der färbbaren Kern-
substanz, die Knäuelbildung, die Aequatorialplatte mit der achro-
matischen Kernspindel, die Verdoppelung der Chromosomen durch
Teilung, die Tonnenform durch Polwanderung der Kernfäden, die
Bildung der Tochterknäuel. Er weist auf drei und mehrstrahlige
Figuren und ihre mögliche Bedeutung für das pathologische Objekt
hin, die in der Tat kürzlich in einer geistvollen Hypothese BovERis
ihren Ausdruck gefunden hat. Seit ARNOLDS Nachweis schätzen
wir die Schnelligkeit und Energie des Wachstums einer Ge-
schwulst nach dem Gehalt des mikroskopischen Bildes an Kern-
teilungsfiguren, denn wir sehen jetzt der Zelle an, ob sie ruht oder
schafft, wir haben einen Maßstab für ihre vitale Kraft und Lei-
stung. Das tote Objekt verrät uns ihr Verhalten im Leben. Nec
silet mors. Das gilt wie für den ganzen Körper so für die einzelne
Zelle. Darin enthüllt sich der Geist der Cellularpathologie.
Die Entzündung hat von jeher im Brennpunkt der Krank-
heitslehre gestanden, ja in der Geschichte der Entzündungslehre
spiegelt sich die Entwicklung der Pathologie wieder. Zu Zeiten sah
man ihr Wesen in der Stase, der Blutstockung in den Capillaren,
die zur Ausschwitzung aus den Gefäßen führte. Später bekämpften
sich die Attraktionstheorie, die den entzündlich gereizten
Geweben eine erhöhte molekuläre Anziehung auf das Blut zu-
schrieb, die Porositätstheorie, welche die erhöhte Durch-
lässigkeit der Gefäßwand durch Vergrößerung der Poren und den
leichteren Durchtritt der Blutflüssigkeit betonte, die spasmodi-
sche Theorie, die die frühzeitige Blutverlangsamung und Stase
auf vasomotorische Einflüsse und zwar auf reflektorische Arte-
rienkontraktion bezog, die Hyperämie indessen nicht erklären
konnte und die paralytische Theorie, die eben diese Rötung
(den rubor Galens) auf Lähmung der kontraktilen Elemente der
Gefäße, auf eine Reflexparalyse zurückführte, wogegen sie die
P. ERNST:
Aber den größten Dienst hat ARNOLD 1879 der Geschwulst-
lehre dadurch geleistet, daß er in den Geschwulstzellen die gleichen
Kernteilungen fand, wie sie zuvor von anderen Forschern an
Pflanzen- und Tierzellen, beim embryonalen Wachstum, von
FLEMMiNG und EBERTH bei der Entzündung und Regeneration
beschrieben worden waren. Damit war die grundsätzliche
Übereinstimmung des normalen und pathologischen Wachstums
festgestellt.
Bis in alle Einzelheiten verfolgt er die verschiedenen Phasen
der Mitose oder Karyokinese, die Zunahme der färbbaren Kern-
substanz, die Knäuelbildung, die Aequatorialplatte mit der achro-
matischen Kernspindel, die Verdoppelung der Chromosomen durch
Teilung, die Tonnenform durch Polwanderung der Kernfäden, die
Bildung der Tochterknäuel. Er weist auf drei und mehrstrahlige
Figuren und ihre mögliche Bedeutung für das pathologische Objekt
hin, die in der Tat kürzlich in einer geistvollen Hypothese BovERis
ihren Ausdruck gefunden hat. Seit ARNOLDS Nachweis schätzen
wir die Schnelligkeit und Energie des Wachstums einer Ge-
schwulst nach dem Gehalt des mikroskopischen Bildes an Kern-
teilungsfiguren, denn wir sehen jetzt der Zelle an, ob sie ruht oder
schafft, wir haben einen Maßstab für ihre vitale Kraft und Lei-
stung. Das tote Objekt verrät uns ihr Verhalten im Leben. Nec
silet mors. Das gilt wie für den ganzen Körper so für die einzelne
Zelle. Darin enthüllt sich der Geist der Cellularpathologie.
Die Entzündung hat von jeher im Brennpunkt der Krank-
heitslehre gestanden, ja in der Geschichte der Entzündungslehre
spiegelt sich die Entwicklung der Pathologie wieder. Zu Zeiten sah
man ihr Wesen in der Stase, der Blutstockung in den Capillaren,
die zur Ausschwitzung aus den Gefäßen führte. Später bekämpften
sich die Attraktionstheorie, die den entzündlich gereizten
Geweben eine erhöhte molekuläre Anziehung auf das Blut zu-
schrieb, die Porositätstheorie, welche die erhöhte Durch-
lässigkeit der Gefäßwand durch Vergrößerung der Poren und den
leichteren Durchtritt der Blutflüssigkeit betonte, die spasmodi-
sche Theorie, die die frühzeitige Blutverlangsamung und Stase
auf vasomotorische Einflüsse und zwar auf reflektorische Arte-
rienkontraktion bezog, die Hyperämie indessen nicht erklären
konnte und die paralytische Theorie, die eben diese Rötung
(den rubor Galens) auf Lähmung der kontraktilen Elemente der
Gefäße, auf eine Reflexparalyse zurückführte, wogegen sie die