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Bluntschli, Hans; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse: Abteilung B, Biologische Wissenschaften (1919, 6. Abhandlung): Anatomie als pädagogische Aufgabe — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.36558#0014
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14 (B. 6)

H. BuJNTSCHLi:

konnte, so habe ich die Zeiten in Erinnerung, da ich selbst Osteo-
logie und Alyologie hörte und ich weiß, daß Unzählige dieselbe
Erfahrung gemacht haben. So wird unglücklicherweise schon vor
dem Anfänger der ganze Spezialistengedankenkreis ausgebreitet
und mit Mühe und Pein frißt er sich durch diese Wirrnis hindurch.
Aber nach ganz anderem lechzt das Verlangen dieser Jüngsten.
Sie wissen es wohl, daß sie sehr viel Einzelnes sich erwerben müssen
und an ihrem Lerneifer braucht der Lehrer gerade in den ersten
Studiensemestern fast nie zu verzweifeln, aber das empfinden sie
sehr wohl auch, daß diese Art des Unterrichtes das Bedeutsamste
vernachlässigt, sie menschlich nicht fördert und darum auch nicht
eigentlich tief auf den zukünftigen Beruf vorbereitet.
Es gibt andere Wege die geeignetere sind. Knochen und Mus-
keln sind lebendige Teile des Gesamtkörpers, ihre Form und Struk-
tur ist der Ausdruck mannigfacher Beziehungen und nur in der
Darlegung dieser gewinnt die Darstellung Lebenswirklichkeit. Im
Toten das Leben zu lehren, dies ist die Aufgabe, die gestellt, das
Leben aber ruht im Ganzen und in allen seinen Teilen. Nicht von
den letzteren muß man ausgehen, sondern vom ersteren; die Be-
ziehungen der Teile klarzustellen, sie in Leistung und Bewegung
zu zeigen, ihre Verhältnisse unter abgeänderten physiologischen
Bedingungen zu klären, all dieses ist es was der lebendige Vortrag
zu geben hat, nicht die einfache Beschreibung und die Fülle der
Bezeichnungen, die jedes Lehrbuch und jeder Atlas klarstellt.
Ich rede daher einer erheblichen Beschränkung dieser einführenden
Vorlesung das Wort und will sie vielmehr auf das Ganze, als auf
das Einzelne abgestellt wissen. Daneben aber muß von Anfang an
eine Art Praktikum für Anfänger einhergehen, das in Gruppen
abzuhalten ist, das Speziellere direkt am Präparat lehrt und in
Frage und Antwort sofort die Bedeutung der einzelnen Teile
klarstellt. Der beste Weg scheint mir dabei der zu sein, daß aus-
gebaute Demonstrationen, welche die einzelnen Knochen, Gelenke
usw. in mustergültigen Objekten zeigen mit beigegebenen Erklä-
rungsblättern und skizzenhaften Zeichnungen in regelmäßiger
Folge aufgestellt werden und den Studierenden zum Selbststudium
während etwa einer Woche zugänglich sind, und daß dann (etwa
alle 8 Tage) sich ein mehrstündiges Praktikum anschließt, in wel-
chem das am menschlichen Objekt gelernte durch Vorweisung von
Tierobjekten vergleichsweise Beleuchtung erfährt und damit in
seinen genetischen und physiologischen Beziehungen zum abschlie-
 
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