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W. Windelband:
dann verachtet, vergessen, der Verhöhnung preisgegeben —,
scbeint er nun zu intensiver Wirkung neu emporzusteigen. Von
Tag zu Tag mehren sich die literarischen Arbeiten über seine
Philosophie, aus den auf der Berliner Bibliothek lang vergessen
lagernden Papieren wird seine Entwicklung mit glücklichem Er-
lolge studiert, seine Bücher werden neu aufgelegt, und seine
Gesamtwerke, die man dereinst für ein Billiges erwerben konnte,
sind ein wertvoller antiquarischer Besitz geworden. Vor allern
aber, die neueste Arbeit der Philosophie zeigt sich überall durch-
tränkt von seinen Gedanken, und das junge Geschlecht sehen
wir in neuer Begeisterung an seinen Schriften, deren krause Dar-
stellung ihren Schrecken verloren zu haben scheint, sich abmühen.
Dem älteren Geschlecht, dessen Bildung in die mittleren
Zeiten des vorigen Jahrhunderts zurückgreift, kommt dies Wieder-
aufleben der ,,Hegelei“ gar wunderlich vor. Man hat sich damals
wohl an den Absonderlichkeiten und Verkehrtheiten der Hegel-
schen Terminologie, an manchen Verschiefungen tatsächlicher Be-
stände weidlich belustigt; man hat auch gern Schopenhauers
Tiraden gegen den „großen Charlatan“ genossenund meist gemeint,
daß man den für immer los sei. Und nun ist er wieder der
große Mann, nun soll wohl ga.r jenes Gerede von An-sich, Für-
sich und An- und Für-sich wieder losgehen?!
Was bedeutet diese Auferstehung Hegels? und wie verträgt
sie sich mit dem, was ich vorhin über unsere Philosophie als
Spezialwissenschaft gesagt habe? Ist nicht gerade Hegel wieder
ein Metaphysiker alten Stils gewesen? Gilt er nicht als cler,
welcher das von Kant Zertrümmerte neu errichtet und damit.
das von Kant Geschaffene wieder verdorben hat? der die
alten Prätensionen der Philosophie wieder mit der äußersten
Rücksichtslosigkeit gegen die übrigen Wissenschaften hervorge-
kehrt hat? Und der soll wieder unser Führer werden?
Offenbar ist es erforderlich, in dieser Bewegung scharf zu
scheiden uncl damit so klar wie möglich die Grenzen zu be-
stimmen, in denen diese neuhegelsche Bewegung gehalten werden
muß, wenn sie nicht wieder eine Gefahr für eine ernste und
wissenschaftliche Philosophie werden soll.
Das gilt vor allem mit Rücksicht auf die Motive, welche zu
der Neubelebung des Hegelianismus aus den Bedtirfnissen geführt
haben, die von dem geistigen Gesamtzustancl unserer Täge her an
die Philosophie Antwort heischend herangebracht werden. Es
W. Windelband:
dann verachtet, vergessen, der Verhöhnung preisgegeben —,
scbeint er nun zu intensiver Wirkung neu emporzusteigen. Von
Tag zu Tag mehren sich die literarischen Arbeiten über seine
Philosophie, aus den auf der Berliner Bibliothek lang vergessen
lagernden Papieren wird seine Entwicklung mit glücklichem Er-
lolge studiert, seine Bücher werden neu aufgelegt, und seine
Gesamtwerke, die man dereinst für ein Billiges erwerben konnte,
sind ein wertvoller antiquarischer Besitz geworden. Vor allern
aber, die neueste Arbeit der Philosophie zeigt sich überall durch-
tränkt von seinen Gedanken, und das junge Geschlecht sehen
wir in neuer Begeisterung an seinen Schriften, deren krause Dar-
stellung ihren Schrecken verloren zu haben scheint, sich abmühen.
Dem älteren Geschlecht, dessen Bildung in die mittleren
Zeiten des vorigen Jahrhunderts zurückgreift, kommt dies Wieder-
aufleben der ,,Hegelei“ gar wunderlich vor. Man hat sich damals
wohl an den Absonderlichkeiten und Verkehrtheiten der Hegel-
schen Terminologie, an manchen Verschiefungen tatsächlicher Be-
stände weidlich belustigt; man hat auch gern Schopenhauers
Tiraden gegen den „großen Charlatan“ genossenund meist gemeint,
daß man den für immer los sei. Und nun ist er wieder der
große Mann, nun soll wohl ga.r jenes Gerede von An-sich, Für-
sich und An- und Für-sich wieder losgehen?!
Was bedeutet diese Auferstehung Hegels? und wie verträgt
sie sich mit dem, was ich vorhin über unsere Philosophie als
Spezialwissenschaft gesagt habe? Ist nicht gerade Hegel wieder
ein Metaphysiker alten Stils gewesen? Gilt er nicht als cler,
welcher das von Kant Zertrümmerte neu errichtet und damit.
das von Kant Geschaffene wieder verdorben hat? der die
alten Prätensionen der Philosophie wieder mit der äußersten
Rücksichtslosigkeit gegen die übrigen Wissenschaften hervorge-
kehrt hat? Und der soll wieder unser Führer werden?
Offenbar ist es erforderlich, in dieser Bewegung scharf zu
scheiden uncl damit so klar wie möglich die Grenzen zu be-
stimmen, in denen diese neuhegelsche Bewegung gehalten werden
muß, wenn sie nicht wieder eine Gefahr für eine ernste und
wissenschaftliche Philosophie werden soll.
Das gilt vor allem mit Rücksicht auf die Motive, welche zu
der Neubelebung des Hegelianismus aus den Bedtirfnissen geführt
haben, die von dem geistigen Gesamtzustancl unserer Täge her an
die Philosophie Antwort heischend herangebracht werden. Es