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Schwally, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1912, 17. Abhandlung): Beiträge zur Kenntnis des Lebens der mohammedanischen Städter, Fellachen und Beduinen im heutigen Ägypten — Heidelberg, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.32892#0003
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Während meines letzten Aufenthaltes in Ägypten — in den
Monaten Februar, März und April des Jahres 1912 —, der mir teil-
weise durch eine Subvention von der Heidelberger Akademie der
Wissenschaften ermöglicht wurde, lebte ich fast ausschließlich als
Gast in einheimischen Familien, zunächst vier Wochen im Hause
eines Angehörigen des wohihabenden Mittelstandes in einer größeren
Staclt, dann ebenso lange bei einem ßeduinenhäuptling im Südwesten
des Faijum und schließlich noch 14 Tage unter Fellachen und
Beduinen im Nordwesten des Sees Kärün. Deshalb beginne ich
meine Darlegungen mit dem häuslichen Leben in der Stadt.
Das muslimische Haus ist im allgemeinen nur für die Familie
da. Dieselbe vermietet weder möblierte noch unmöblierte Zimmer,
ebensowenig läßt sie Kostgänger zu. Das Wohnen in einem fremden
Iiause ist nur unter cler Form der Gastfreundschaft möglich. Wer
das' aus irgend einem Grunde niclit mag, muß ein eigenes Haus
erwerben, sonst ist er auf Ghane, Gasthöfe oder christliche Privat-
häuser angewiesen. Nur in ganz großen Städten sind die An-
gehörigen der niederen Schichten zum Teil genötigt, sich mit
Wohnungen in Mietskasernen zu begnügen.
Das Lob der orientalischen Gastfreundschaft ist von clen Schrift-
stellern aller Zeiten und Zungen sehon so oft und laut gesungen
worden, dab es sich kaum überbieten läht. Dieses Lob ist clurch-
aus berechtigt. Indessen sind doch auch nicht geringfügige Schatten-
seiten vorhanden. Da dieselben in den europäischen Pieisewerken,
soweit ich sehe, nur selten berührt uncl noch seltener erkannt
sind, will ich versuchen, diese Lücke mit meinen Erfahrungen aus-
zufüllen.
Eigentliche Fremdenzimmer gibt es wohl nur in den Villen
und Palästen cler Vornehmsten. In allen mir bekannten Häusern
werden die Gäste in den Empfangsräumen (selämlik, mandara)
untergebracht, von denen clie meisfen Häuser nur einen, die des
besseren Mittelstandes höchstens zwei besitzen. Da aber das
Selämlik in erster Linie zum Empfange der Besucher dient, ist es
dem Gaste (def) unmöglich, sich in einem solchen Zinmier nach sei-

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