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Gothein, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1912, 3. Abhandlung): Rafael und der Abt Gregorio Cortese — Heidelberg, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.32878#0006
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Eberhard Gothein:

mante an jener Kirche noch eimnal zu köstlicher Entfaltung ge-
bracht hat, glaubte übertroffen zn haben. Das große Therna
cler „Cena“ hat auch Rafael, jedenfalls seine Schule be-
schäftigt. Handzeichnungen zu ihr, die unter seinem Namen
gehen, müssen ihm wohl alle abgesprochen werden; sie gehören
seinen Schülern an.4) Sie zeigen völlige Abhängigkeit von Leo-
nardo; was sie ändern, heruht auf Mißverständnis. Aber von
einem Stiche Marc Antons, der vielleicht. auf eine Vorlage Ra-
faels zurückgeht, jedenfalls seinem Kreise entstammt, urteilt der
berufenste Beurteiler5): ,,R.afael allein hat Leonardo verstanden,
wie er ganz momentan und doch bleibend und erschöpfend zu
sein“. Nur ist hier Jesus der hewegt dramatischen Szene, zu
cleren Ausgangspunkt ihn Leonardo gemacht hatte, gleichsam
entrückt; in strenger Vertikale hildet die sitzende Gestalt. die
Mittelachse des Bildes, in dem die Symmetrie durchgeführt ist.
Mit groß geöffneten Augen, die das Leere zu suchen scheinen,
blickt er, dem Beschauer allein unter den Köpfen gerade
zugewandt, wie aus dem Bilde heraus. So nähert sich da,s
Bild wieder einer mystisch-rituellen Auffassung, von der Leonardo
mit dem AVerke höchster Drama.tik, das alles in bewegte, zusammen-
hängende Handlung auflöst, grundsätzlich abgesehen hatte.
Würde Rafael hei einer monumentalen Ausführung diese
Auffassung heihehalten haben? Würde er in der Gestaltung
der einzelnen Gruppen sich weiter von Leonardo entfernt haben?
Vergebliche Fragen!
Vielleicht hat er, als die Anfrage Corteses zu ihm gelangte,
einen Tag lang erwogen, ob auch er den nachgelassenen Bogen
des Odysseus spannen solle, wie es damals Andrea del Sarto
versuchte. Und gern möchten auch wir uns ilm einen Augenblick

4) Die Aufzählung bei FlSCHEL, Eafaels Zeichnungen, p. 155, dazu die
Analyse bei CROWE-CAVALCASELLE, engl. Text II, 527 f. Diese Zeichnungen
halten überall das gegebene Motiv der langen geraden Tafel mit einseitiger
Anordnung fest. Nur das geringe Bild in der letzten der Loggien weicht ge-
mäß dem trapezförmigen Raum ab. Einen Fortschritt cler Gruppierung zeigt
keines. Z. B. die Zeichnung der Albertina, von WlCKHOFF, Jahrb. d. Eunstsamml.
d. a. h. Kaiserhauses 1892, p. 229 Penni zugewiesen, reproduziert Leonardos
Anordnung genau irn Gegensinn, zerlegt aber die drei großen Gruppen
durch sie überschneidencle, ein Gewölbe tragende Pfeiler, so claß gerade die
verbindende Bewegung der Hände — seit Goethe als ein Hauptmoment der
Komposition L.’s erkannt — sinnlos durchschnitten wircl.
°) WöLFFLIN, Die hlassische Kunst, p. 30.
 
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