Platos Staatslehre in der Renaissance.
9
neuen, in seiner Art vollendeten Dritten durchdrungen haben,
was man dann später romantisch genannt hat. Denn unendlich
viel fruchtbare Keime, die nur nicht alle gleich anfangs zu ge-
deihJicher Entwicklung gelangten, birgt die italienische Renais-
sance. Nicht nur der Klassizismus, sondern auch die Romantik
findet in ihr ihre Ansätze.
Mit den tiefgreifenden Wirkungen, die Plato auf diesen Ge-
bieten des Denkens und Fühlens ausübte, kann der Einfluß seiner
politischen Schriften nicht gleichen Schritt halten. Der Erfolg
aber ist der gleiche: Man wollte den reinen Plato, und män
kam halb und halb vom Mittelalter nicht los. Die Staatslehre
des Mittelalters selber, soweit sie sich am Altertum und nicht
ausschließlich an Augustinus oder an den unmittelbaren Zeit-
fragen orientierte, stand bekanntlich ganz unter der Herrschaft
des Aristoteles. Eine Ausnahme mag man vielleicht allein da
machen, wo man es am wenigsten erwartet: bei Averroes. Denn
er hat in seinen politischen Ausführungen sich rnehr an Plato
angelehnt und ist gerade des'sen Gedanken über die Gleich-
bildung und Gleichsetzung der Frauen und Männer weit ent-
gegengekommen, in bewußtem Widerspruch gegen die Sitten des
Islam.4) Auch in der Renaissance konnte das Gebäude der Staats-
lehre Platos minder anziehend erscheinen als das des Aristoteles.
Denn was sie von der Politik will, ist lebendige Reobachtung des
Staat.slehens, die man sofort. nutzbar machen kann. Auf diesem
Felde hat sie Unvergängliches geleistet. In der Politik sind die
Italiener der Renaissance eben durchaus praktische Gegenwarts-
menschen, und wo ihr tiefgewurzeltes rhetorisches Interesse in
Frage kam, hoten sich bessere Vorbilder als der Philosoph, der
die Rhetorik durch die Dialektik zu stürzen versucht hatte. So
blieb denn bei aller Plato-Verehrung „respublica Platonis“ ein
Synonym für „Phantasiegebilde“. Die Platoniker selbst, die pflicht-
gemäß für ihren Meister eintraten und Aristoteles sein Mäkeln
nicht verziehen, hehandelten den politischen Inhalt seiner
Schriften doch nur mit halbem Herzen.
Der Kom’mentar des Ficinus über die Politik gehört nicht
zu seinen hervorragenden Leistungen. Was ihm an diesem syste-
4) Ich muß mich hier auf ältere Exzerpte aus einer Zeit, als ich mich
noch eingehend mit der Kulturgeschichte des spanischen Mittelalters beschäf-
tigte, verlassen und konnte sie nicht nochmals verifizieren, da die Heidelberger
Bibliothek außer seinen medizinischen Schriften nichts von AVERROES besitzt.
9
neuen, in seiner Art vollendeten Dritten durchdrungen haben,
was man dann später romantisch genannt hat. Denn unendlich
viel fruchtbare Keime, die nur nicht alle gleich anfangs zu ge-
deihJicher Entwicklung gelangten, birgt die italienische Renais-
sance. Nicht nur der Klassizismus, sondern auch die Romantik
findet in ihr ihre Ansätze.
Mit den tiefgreifenden Wirkungen, die Plato auf diesen Ge-
bieten des Denkens und Fühlens ausübte, kann der Einfluß seiner
politischen Schriften nicht gleichen Schritt halten. Der Erfolg
aber ist der gleiche: Man wollte den reinen Plato, und män
kam halb und halb vom Mittelalter nicht los. Die Staatslehre
des Mittelalters selber, soweit sie sich am Altertum und nicht
ausschließlich an Augustinus oder an den unmittelbaren Zeit-
fragen orientierte, stand bekanntlich ganz unter der Herrschaft
des Aristoteles. Eine Ausnahme mag man vielleicht allein da
machen, wo man es am wenigsten erwartet: bei Averroes. Denn
er hat in seinen politischen Ausführungen sich rnehr an Plato
angelehnt und ist gerade des'sen Gedanken über die Gleich-
bildung und Gleichsetzung der Frauen und Männer weit ent-
gegengekommen, in bewußtem Widerspruch gegen die Sitten des
Islam.4) Auch in der Renaissance konnte das Gebäude der Staats-
lehre Platos minder anziehend erscheinen als das des Aristoteles.
Denn was sie von der Politik will, ist lebendige Reobachtung des
Staat.slehens, die man sofort. nutzbar machen kann. Auf diesem
Felde hat sie Unvergängliches geleistet. In der Politik sind die
Italiener der Renaissance eben durchaus praktische Gegenwarts-
menschen, und wo ihr tiefgewurzeltes rhetorisches Interesse in
Frage kam, hoten sich bessere Vorbilder als der Philosoph, der
die Rhetorik durch die Dialektik zu stürzen versucht hatte. So
blieb denn bei aller Plato-Verehrung „respublica Platonis“ ein
Synonym für „Phantasiegebilde“. Die Platoniker selbst, die pflicht-
gemäß für ihren Meister eintraten und Aristoteles sein Mäkeln
nicht verziehen, hehandelten den politischen Inhalt seiner
Schriften doch nur mit halbem Herzen.
Der Kom’mentar des Ficinus über die Politik gehört nicht
zu seinen hervorragenden Leistungen. Was ihm an diesem syste-
4) Ich muß mich hier auf ältere Exzerpte aus einer Zeit, als ich mich
noch eingehend mit der Kulturgeschichte des spanischen Mittelalters beschäf-
tigte, verlassen und konnte sie nicht nochmals verifizieren, da die Heidelberger
Bibliothek außer seinen medizinischen Schriften nichts von AVERROES besitzt.