Metadaten

Thiersch, Hermann; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1913, 4. Abhandlung): Ein parthenonisches Giebelproblem — Heidelberg, 1913

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.33047#0012
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
12

H. Thierssh:

schließt: „Die Indogermanen müssen vor ihrer Tremumg diese Gruppe
von Müttern in ihrem Kultglauben besessen haben.“]

Nun ist auf den Matronensteinen der römischen Zeit die
mittlere der drei Göttinnen immer etwas anders gestaltet als ihre
beidenSchwestern; sie unterscheidet sich von ihnendurch abweichende
Haartracht, höheren Sitz, stehende Haltung, anderes Attribut (Füll-
horn statt Korb) oder dergleichen. 6 Selbst kleinere Statur kommt
ihr zuweilen zu, ganz wie der Atropos bei Hesiod, und doch ist
sie wie bei diesern als die Mittelfigur immer die wichtigste. Vgl.
Roscher, Myth. Lex. II, 2, 2468 ff. und Bonner Jahrb. 1910, T. 25.

Unter den germanischen Nornen ist Urdar bedeutsamer als
die beiden anderen (Grimm, Deutsche Mythologie I 4, 337), und noch
im Speculum stultorum (gedruckt um 1200) sind zwei von den drei
Schwestern zu weichherzig und vorschnell im hilfreichen Eingreifen,
so daß sie von der dritten, verständigeren, welche sie „domina“
nennen und als eine höhere Macht verehren, zurückgehalten werden
müssen. In anderen Sagen wird diese ernstere ältere Schwester
direkt zur bösgesinnten Fee, die das Geschenk der beiden anderen
verringert; einmal sogar wird sie zu einem bösen Dämon, der unter
dem Tisch der beiden guten Schwestern festgebunden werden muß
(Grimm, a. a. 0., S. 344). Noch im 13. Jahrh. bei Aclam de la
Halle erscheint „la dame Morgue“ mit zwei schönen Feen als „sa
compagnie“ (Grimm, S. 342).

„Im Norden entwickelt sich Urd in weiterer Spezialisierung
geradezu zur Todesgöttin“ (R. M. Meyer, 157), also ganz wie die
alte Aisa-Atropos. Im bayrischen Volksglauben 7 ist die eine der
drei „Heilrätinnen“ ganz schwarz, die beiden anderen dagegen
weiß und halbweiß. „Auch die deutschen drei Schwestern stimmen
keineswegs imrner in ihrem Ausspruch überein, die zwei weißen

6 Die Matronae aus diesem Zusammenhang mit Unrecht, wie mir
scheint, ausgeschieden von E. Ii. MEYER, 262. Ich halte die drei bayrischen
Heilrätinnen und die drei badischen Schwestern St. Einbet, St. Werbet und
St. Wilbet für die letzten Ausläufer dieser speziell keltischen, nicht germa-
nischen Trias ebenso wie die drei Marien der Provence. Im Gengenbach am
Fuß des badischen Schwarzwaldes hat sich ihr mütterlicher, kinderfreundlicher
Charakter selbst in ihrer Christianisiemng noch erhalten. Während Einbetha als
Hauptgestalt unverändert blieb, wurden die beiden anderen durch die h. Per-
petua und die h. Felicitas ersetzt, mit deren Martyrium das ihrer eben ge-
borenen Kindlein aufs engste verkniipft ist. Vgl. Fr. BAUMGARTEN, Schauins-
land 1894, S. 12ff.

7 Sehr reiches Material aus Bayern und Tirol gesammelt bei FR. PAN-
ZER. Bayrische Sagen uird Gebräuche (Beitrag zur deutschen Mvthologie, Bd. I
1848) I,‘l—209; II, 119—163.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften