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Thiersch, Hermann; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1913, 4. Abhandlung): Ein parthenonisches Giebelproblem — Heidelberg, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.33047#0014
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H. Thiersch

zusammenfahrend, scheidet in der Frage nach der Führerin ohne
weiteres aus. Flier bei M dagegen ist alles vorhanden, was wir
suchen. Sie, M, ist gelagert wie eine Königin, mit selbstverständ-
licher Lässigkeit die Dienste der Genossin als lebendes Lager in
Anspruch nehmend und völlig unerschüttert von dem, was vor-
geht, so unberührt von jeder entstandenen Erregung, daß sie teil-
nahmlos, nicht nur abgekehrt, da- zu liegen scheint in ihrer gött-
lichen Ruhe. Diese beiden innerlichen Momente allein schon unter-
scheiden sie aufs schärfste von den ihr äußerlich sonst so gleich-
artigen Schwestern.

Flier haben wir in der Tat eben jenen Kontrast, jenen Dualis-
mus im Wesen der Moiren in deutlichster plastischer Verkörperung,
den wir oben sagengeschichtlich herausgehoben haben: das Herbe
und Fürstlich-Königliche der einen, das dienstwillige hilfreiche
Sich-unterordnen der anderen. Niemand hat das feiner formuliert
als Petersen, Kunst des Phidias 132ff., wo er den Gegensatz
zwischen L und M also beschreibt — ohne indes dabei an die
Moiren zu denken —: „Fhibekümmertes. bequem genießendes Sein
. . . hier ist es noch gesteigert . . . Diese Göttin mag aus eigener
Kraft nicht einmal ruhen, sondern bedient sich auch dazu einer
anderen, die mit sorgsamer Liebe sie stützt und trägt und ganz ihr
hingegeben ist. Diesen Liebesdienst nimmt die Liegende hin wie
etwas Gebührendes, ohne die Freundlichkeit zu envidern und nur
mit sich beschäftigt. So können Schwestern kaum miteinander sein,
es sei denn, daf3 die eine ganz in selbstvergessener Bewunderung
der anderen aufgehe, und dab auch die andere das ungleiche Ver-
hältnis nicht gleichmache durch Rückzahlung ebenso großer Hin-
gebung. Besser können wir sie mit zwei Freundinnen vergleichen,
deren eine sich völlig unterordnet, ihr Glück darin findet, die
andere zu hegen, zu lieben, zu bewundern. . . . dies bequeme Hin-
nehmen fremder Dienstleistungen, was bei keiner anderen Gottheit
vorkommt. “

Wie eine der homerischen Königinnen, die niemals ohne ihre
beiden dpqnTroXoi erscheinen, so will uns die Gruppe K, L, M
anmuten: M = Atropos, L und K = Lachesis und Klotho oder diese
beiden auch mngekehrt, entgegen ihren schon vorhandenen, gleich-
sam auf sie wartenden Anfangsbuchstaben. Vertauscht. oder nicht, -
es ist bei solchen Zwillingsschwestern unwesentlich.

Aber wie kann man M überhaupt noch als Moire und nun
gar noch als oberste und führende Moire in Vorschlag bringen nach
 
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