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Gothein, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1913, 7. Abhandlung): Die Reservearmee des Kapitals — Heidelberg, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.33050#0007
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Die Reservearmee des Kapitals.

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licher Krebsschaden, der sich auch mit Tarifen und Mindeststück-
löhnen, so wünschenswert diese sonst sind, nicht heben läßt.
Überall setzt mit der Maschine, die nur vorübergehend eine Ver-
schiebung bringt, eine gewisse Besserung ein. Das stehende Ka-
pital stellt eine kostspielige Verwendung dar, die, einmal vollzogen,
nicht mehr rückgängig zu machen ist, es schreit nach ständiger
Verwertung und bedarf deshalb auch des ständigen Arbeiters zur
Bedienung, während das variable Kapital, jedem Winclhauch cler
Konjunktur nachgebend, immer die augenblicklich günstigste,
nur keine feste Anlage sucht. Also haben die Trennung des Kapitals
von cler Arbeit, die aber vom variablen, nicht vom stehenden
Kapital vollzogen worden ist, und die Richtung der Produktion
auf die Konjunktur bereits die Reservearmee geschaffen; das Vor-
dringen der Maschine verschärft sie wohl einmal vorübergehencl und
peitscht im übrigen, gerade um sie zu vermeiden, den Umsatz cles
Kapitals und die Bevölkerungszunahme auf 1.

Marx hat das Kontingent, das clie abwandernde Landbe-
völkerung zur industriellen Reservearmee stellt, wohl beobachtet,
die großen Verschiebungen, clie in der Zusammensetzung der lancl-
wirtschaftlichen Arbeiterbevölkerung selbst sich seitdem vollzogen
haben, war er noch nicht in der Lage zu bemerken. Gerade hier
ist nun aber, soweit es sich um Großbetriebe handelt, clie Umwäl-
zung vollständiger als irgendwo in cler Großindustrie. Die Wander-

1 Bei stetigen Unternehmungen, die nicht unmittelbar, sondern nur
mittelbar von der Konjunktur beeinflußt werden, wie die meisten öffentlichen,
besonders die Eisenbahn, läßt sich auch der Arbeitsbedarf ziemlich genau
veranschlagen, die Reservearmee kommt hier kaum in Frage. Hier, aber
auch nur hier, läßt sich dem Arbeiter eine Art von Beamtencharakter ver-
leihen. Wo man dies in der Großindustrie versucht, bedeutet es nur, eine
Elitetruppe herauszuheben, sie also erst recht von der Reservetruppe zu
trennen. Wohlfahrtseinrichtungen großenteils, Sondergewerkvereine (gelbe
Gewerkvereine) durchaus erweitern jedenfalls diese Kluft, womit ihre sonstige
Berechtigung keineswegs bestritten werden soll. Der letzte, einheitliche
Yersuch, in einer ganzen Industrie Bedarfsdeckungswirtschaft, Stetigkeit
der Arbeitsverwendung und ein Quasi-Beamtentum bei den Arbeitern durch-
zuführen und doch die kapitalistische Grundlage der Unternehmung fest-
zuhalten, ist das preußische Direktionssystem im Bergbau gewesen. Aber
es war nur möglich unter Ausschluß der Freizügigkeit der Bergleute mit
willkürlicher Bestimmung des Arbeitsplatzes. Das Freizügigkeitsgesetz,
durch das für die Bergarbeiter der freie Arbeitskontrakt eingeführt
wurde, schuf auch sofort die Reservearmee, die dann gerade hier gewaltige
Dimensionen angenommen hat.
 
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