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Gothein, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1913, 7. Abhandlung): Die Reservearmee des Kapitals — Heidelberg, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.33050#0010
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10

E. Gothein:

Saisonindustrien ausbildet, ist die Reservearmee in der Tat be-
seitigt; an ilire Stelle ist ein Schichtwechsel im Großen getreten.
Gerade eine Bevölkerung von kleinen Landwirten ist hierfür be-
sonders geeignet; so suchte früher der westfälische Heuerling
Winterarbeit in der Eisenhütte, so ist es in der Pfalz mit der ab-
wechselnden Beschäftigung zwischen der Landwirtschaft und der
Zigarren- oder cler Konservenindustrie der Fall. Hier ist sogar
die Gewöhnung an cliesen Arbeitswechsel zur Kalamität für die-
jenigen ständig beschäftigten Inclustrien geworden, wie die Baum-
wollspinnerei, denen an einer ständigen Arbeiterschaft viel
mehr als an den zweideutigen Vorteilen einer fluktuierenden
Reservearmee gelegen ist. Ja sogar den Schwankungen der
Konjunktur und der von ihr abhängigen irregulären Reserve-
armee kann die Landwirtschaft — freilich nur die des
Kleinbetriebs — Unterkunft gewähren, wie z. B. die frühere
Geschichte cler Pforzheimer Bijouterieindustrie gezeigt hat. Des-
halb ist es auch nur folgerichtig, wenn auch leider nicht ebenso
aussichtsreich, daß diejenigen, welche die Wanderarbeit wieder
durch bodenständige Arbeit zu ersetzen wünschen, vor allem nach
gewerblichen Winterbeschäftigungen des Landarbeiters Ausschau
halten.

Ob nun die fortschreitende Organisation der einzelnen Volks-
wirtschaften, wie sie in Kartellen, Trusts, Arbeitsvermittlung usw.
vorliegt, überhaupt je imstande sein wird, die irreguläre Reserve-
armee zu regulieren, sie zum komplementären Schichtwechsel
zu überführen, mag man ebenso bezweifeln wie die Möglichkeit,
auf diesem Wege eine Bedarfscleckungswirtschaft höherer Ord-
nung zu erreichen. Jedenfalls hat in dem Lande, wo diese Umord-
nung der Volkswirtschaft am weitesten gediehen ist, in Amerika,
die Vertrustung nur daliin gewirkt, die industrielle Reservearmee
auf die Spitze zu treiben: ein verhältnismäßig kleiner fester Ar-
beiterstamm, ersetzt, wo es irgend angeht, durch die Maschine,
verlegt und verschoben nach dem Vorteil und dem Gutdünken des
Unternehmers, in Abhängigkeit gehalten durch die fluktuierende,
einer Organisation unfähige, ja der Übersicht sich entziehende
Arbeitermasse und vor allern eine Ungleichheit des Arbeitsbe-
darfs, wie sie in einer völlig desorganisierten Volkswirtschaft
auch nicht anders sein könnte, das wird immer mehr der Typus
der amerikanischen Arbeiterschaft.

Es liegt nahe, die Kapitalbeschaffung unter gleichen
 
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