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Gothein, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1913, 7. Abhandlung): Die Reservearmee des Kapitals — Heidelberg, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.33050#0018
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18

E. Gothein:

Reserve des Felderbesitzes, mit der sie sich bekanntlich
unter geschickter Ausnützung bergrechtlicher Bestimmungen so
reichlich vorgesehen hat, daß ein anderes Gesetz, das freilich nicht
mehr viel zu tun vorfand, Einhalt geboten hat.

So bleibt überall clie Konjunktur, mag sie noch so klug vor-
ausberechnet und benützt werden, der irrationelle Faktor in der
Volkswirtschaft. Sie erfordert eine Betriebsreserve, und bei der
geringen Rentabilität einer solchen erscheint es vorteilhaft, diese
auf andere Schultern abzuladen und eine irreguläre Reservearmee
des Kapitals herbeizuziehen. Volkswirtschaftlich aber bedeutet das
die Erhaltung einer beträchtlichen Zahl mittlerer kapitälistischer
Betriebe, die wenig gesichert, ungleich beschäftigt, aber dem
Ganzen wirtschaftlich wie sozial wünschenswert sind.

Sie stellen eine neue Form des Mittelstandes dar: den Mit-
telstand des Kapitals. Er scheidet sich ebenso scharf vom
großen Kapital, das wir wohl heute gern das Riesenkapital nennen,
wie vom Kleinkapitalismus, jenem gehobenen Handwerk, das in
das Getriebe des Geschäftslebens hineingezogen ist — wie sämt-
liche Baugewerbe — und das zu diesem Zwecke die Hilfsmittel und
die Betriebsweise, wie sie die Verwenclung von Ivapital mit sich
bringt, aufnehmen muß. Der Wirkungskreis und die Interessen
dieser Arten kapitalistischer Unternehmung sind wesentlich ver-
schieden; man wird vielleicht finden, daß trotz der Sorgen des
kleinkapitalistischen Unternehmers, der die Bedingungen seiner
Existenz selten übersieht und sich vom Strome treiben läßt, die
Lage des mittelkapitalistischen besonders prekär ist. „Mitte“ ist ein
relativer Begriff und deshalb ist die allbeliebte Bezeichnung „Mittel-
stand“ überall verwendbar. Auch das Kapital hat den seinigen, wie
es seine Aristokraten und Parvenus, seine Deklassierten und- Prole-
tarier hat. Es wäre eine dankbare Aufgabe, die soziologische
Schichtung und die psychologische Verfassung dieser Abteilungen
zu verfolgen, zu zeigen wie bedeutsam dieser Mittelstand ist und um
wie viel bedeutsamer er sich selber macht. Ein Mittelstand ist seiner
Natur nach immer sozial-konservativ: er will seine Position be-
haupten und ist deshalb in Zeiten der Bewegung stets „notleidend“,
er fürchtet die Herabdrückung zur Reservearmee, was für ihn
„Deklassierung“ bedeutet, und muß schließlich erkennen, daß nur
die Notwendigkeit einer solchen seine eigene Weiterexistenz
leicllich verbürgt. Jeder Mittelstand beansprucht, schon weil er
eine Mitte ist und man in dieser gern den Schwerpunkt sucht,
 
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