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Gothein, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1913, 7. Abhandlung): Die Reservearmee des Kapitals — Heidelberg, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.33050#0030
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30

E. Gothein:

Zeit fällt auf den Lohnindustriellen: sein stehendes Kapital bleiht
unbeschäftigt, während das variable des „Fabrikanten“, wenn er
auch auf einen Unternehmergewinn verzichten muß, ihm wenig-
stens auf seiner Bank Zinsen trägt. Es besteht also bei dieser Art
Lohnindustrie eine Yereinigung von regulärer und irre-
gulärer Reservearmee des Kapitals; durch beide zugleich
wird ein hoher Grad von Anpassungsfähigkeit der Industrie und
Verteilung des Risiko erreicht. Daß trotzdem der kombinierte
Großbetrieb namentlich für gangbare Stapelartikel Fortschritte
macht, ist kein Beweis des Gegenteils.

Bei allen Yeredlungsindustrien zeigen sich ähnliche Ver-
hältnisse, sobald sie Lohnindustrien sind. Die Abhängigkeit des
Kapitalinhabers, die Vorteile, die die Abladung der Kapital-
haltung auf ihn, dem eigentlichen Produzenten gewährt, zeigt sich
am deutlichsten in der Stellung der Spritraffinerien gegenüber
der Spirituszentrale. Es bietet für diese straffe und geschäftlich
vorzüglich geleitete Organisation der zersplitterten und
an den lokalen Standort gebundenen Rohspiritusindustrie einen
Vorteil, das große Kapital, das in der Raffinerie investiert ist,
nicht selber zu übernehmen, sondern es nur zu kontrollieren und
auf Lohn zu setzen. Die Raffineure aber haben sich in diese
bescheidene Lage gern gefunden, weil man sie privilegiert und
ihre Zahl auf das erforderliche Maß zurückgeführt hat.

Auch Industrieen, die niclit gegen Lohn arbeiten, sondern
Waren zur Weiterverarbeitung ihrerseits verkaufen, rechnen oft
mit fremder Kapitalhaltung. Es finden sich wohl Fälle, daß
diese in einer Art von Ivette immer von einem auf den
andern abgeschoben wird. Nicht zuletzt geschieht das
von dem einzelnen, um nicht zu viel Kredit zu brauchen. Aber
häufig verbindet sich mit dem Rückgriff auf das Kapital, den
Vorrat, die Dienste des Vormanns auch noch eine Kredit-
gewährung seitens dieses. Es sind meistens clie Mittelbetriebe
kapitalistischer Art, die, während sie selber nach unsern früheren
Ausführungen so oft als irreguläre Reservearmee des Kapitals
dienen müssen, sich ihrerseits dadurch halten und kräftigen,
daß sie wieder auf andere, sei es Händler, sei es Fabrikanten, sich
als auf ihre ständige Kapitalreserve stützen. Die Großbetriebe der-
selben Geschäftszweige hingegen vermögen den vertikalen Aufbau
auch in der Kapitalhaltung durchzuhalten und können sich durch
Betriebskredit nach Belieben verstärken.
 
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