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Cavalli Bayllo, Marin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]; Andreas, Willy [Bearb.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1914, 5. Abhandlung): Eine unbekannte venezianische Relazion über die Türkei (1567) — Heidelberg, 1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.33308#0004
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W. Andreas:

Der Quellenwert der Relazionen steht außer Frage. Man wird
sich freilich hüten, ihn zu überschätzen, weil ein solcher Bericht
das zusammenfassende Endergebnis einer ganzen Gesandschafts-
periode darstellen soll. Der politische Rohstoff ist hier schon meist
erheblicher bearbeitet als in den Depeschen, er ist in eine über-
legte, oft schön geschliffene Form eingefangen: vieles drückt sie
schärfer, manches abgeklärter aus. Aber anderes wieder verliert
an unmittelbarer historischer Zeugniskraft, weil es eben minder
ursprünglich ist. Die Relazionen bilden die Vorstufe einer offi-
ziellen Geschichtschreibung, wie sie in Venedig sorgsam gepflegt
wurde. Eine eingehende Untersuchung würde deren Abhängigkeit
von den Gesandtenberichten gewiß erweisen. Die venezianischen
Relazionen sind politische Kunstwerke. Als solche habe ich ver-
sucht, in meiner ersten Arbeit sie zu würdigen 1. Nachdem man sie
bisher lediglich auf ihre Ergiebigkeit als Quelle geprüft und ver-
wertet liatte, erwuchs mir die Aufgabe, sie als Produkte der Renais-
sance zu begreifen, ihres bestimmten politischen Geistes, ihrer be-
stimmten Kultur und Lebensanschauung. Nachdem die Rela-
zionen soviel Licht über die Geschichte einer ganzen Epoche ver-
breitet hatten, galt es festzustellen, inwiefern sie selber Erzeugnisse
jenes hochbewegten und glänzenden Zeitalters sind, insbesondere
aber, was sie uns über die geistige Verfassung der Venezianer im
16. Jahrhundert sagen.

Man muß eine ganze Reihe solcher Relazionen lesen, um ihre
Eigenart zu verstehen und ihren liohen Reiz zu empfinden. Erst
dann wird man inne, welchen Schatz an politischer Erfahrung die
klugen Väter von San Marco damit aufgespeichert haben. Diese
Berichte waren der Niederschlag einer langen politischen Tra-
dition, die allmählich erstarrte. Die Höfe Europas leben in den
Relazionen vor uns auf, die großen staatlichen Gegensätze ent-
falten sich: eine bunte und kampferfüllte Welt erstelit vor unseren
Augen, aber wir sehen auch die Heimat dieser scharfsichtigen
Beobachter, die Republik Venedig selber und das traurig-schöne
Schauspiel ihres Niedergangs.

Verhältnismäßig früh haben denn auch die Gelehrten sich be-
müht, die venezianischen Relazionen zu sammeln; denn erst, wenn
man sie als fortlaufende Ivette übersieht, antworten sie auf manche
Fragen. Französische, italienische, österreichische und holländische

1 Willy Andreas. Die venezianischen Relazionen und ihr Verhältnis
zur Kultur der Renaissance. Leipzig. 1908.
 
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