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Schorr, Moses; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1915, 4. Abhandlung): Eine babylonische Seisachthie aus dem Anfang der Kassitenzeit (Ende des XVIII. vorchristl. Jahrhunderts) — Heidelberg, 1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.34063#0010
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Moses Schorr:

Wenn nun aber das Fragment der Kassitenzeit (und zwar
dem Anfang derselben, wie die noch sehr lebendige juristische
Terminologie der Hammurapi-Zeit andeutet) angehört, kann es
nicht trotzdem als ein Bruchstück einer allgemeinen, sonst nicht
erhaltenen Gesetzesammlung aus der Zeit der ersten Kassiten-
könige angesprochen werden ? Auch diese Möglichkeit muß ver-
neint werden. Abgesehen von der uneinheitlichen formalen Fas-
sung der Bestimmungen, auf die schon oben verwiesen wurde^),
enthalten sie selbst an zwei Stellen (§ D^, §E^^) einen klaren Hinweis
darauf, daß sie nicht zu einer allgemeinen Gesetzessammlung
gehören, sondern vielmehr ihre Entstehung einem konkreten Anlaß
verdanken, und daß die hetreffende Tafel, von deren sechs Kolum-
nen nur spärliche Beste geblieben sind, eine selbständige Sammlung
von Vorschriften enthalten haben müsse. An jenen zwei Stellen
nehmen die Bestimmungen ausdrücklich Bezug auf einen ,,Gnaden-
erlaß", den der König für cfas Land ergehen iieß, und
dieser Erlaß kann dem ganzen Zusammenhange nach nichfs anderes
sein als ein Schulderfaß^), eine Seisachthie, d. h. ein Dekret
über Aufhebung von Schuidverpflichtungen innerhalb bestimmter
Grenzen. Den Anlaß zu diesem Schulderlaß gab eine agrarische
h Vgl. oben S. 8.
h Daß es sich in der ganzen Verordnung um einen Schulderlaß, d. h.
um voüe Annullierung der fälligen Schuldverpflichtungen, und nicht bloß
um deren Stundung, also um ein Moratorium handle, geht ganz deutlich
aus den Bestimmungen der §§ D—F hervor und ebenso — auf dem Wege des
Rückschlusses — aus § B, Z. 11 ,,seine Tafel soll nicht vernichtet werden",
woraus deduziert werden muß, daß die Schuldurkunden anderer Schuldner
(Feldpächter) ja vernichtet, d. h. ihreVerpflichtungenganz aufgehoben, alswir-
kungslos erklärt wurden. Wenn dem so ist, so wird man auch in der vielfach
interpretierten Prozeßurkunde RANKE 103 (= ScHORR VAB V Nr. 273) die
7?D.y<2/-M7H.-Verordnung, auf die sich der beklagte Agent beruft, als einen
Schulderlaß und nicht als ein Moratorium auffassen, demgemäß auch Z. 19
dort ,,nach Kräften werde ich es ersetzen" übersetzen müssen. Der Agent war
eben konform dem § B unseres Schulderlasses trotz eines soichen verpflichtet,
seine Gebühren zu leisten. Dagegen liegt in § 48 des Cod. Ham., wo es sich
um allgemeine Schuldverhältnisse handelt, ein Moratorium vor: der
Schuldner zahlt in diesem Jahre (Z. 10) weder Schuldrate noch Zinsen,
die Urkunde wird auch nicht vernichtet, sondern nur befeuchtet (sym-
boiische Andeutung der Stundungsgrundes). — Bemerkt sei hier, daß die
Bedeutung ,,Moratorium" für 7KeM7-:?7?7 von D. H. MüLLER bei ScHORR,
AR II (1908), S. 58—59 erschlossen wurde, wie ich auch VAB V S. 379 seinen
Namen genannt habe. LANGDONs Irrtum betreffs der Priorität dieser Wort-
deutung sei daher hier berichtigt.
 
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