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ALFRED DOVE:
eine weitere Diff'erenz zwischen der städtischen Kultur des Welt-
reiches und den ländlichen Zuständen der Barbarenstämme her-
vorzuhebenh Wenn dagegen den Juristen der späteren Zeit aller-
dings das Ideal eines auf der gleichen Anlage sämtlicher Völker,
des römischen wie der fremden, beruhenden jus gentium vor-
schwebte, bei dessen Definition sie den Unterschied zwischen
populus und gens geflissentlich verwischten, ja den gentes eben-
falls generell eine civitas zuschrieben, so hatte doch diese Speku-
lation hekanntermaßen nnt den 'Völkerschaften^ als solchen,
wie überhaupt mit den wirklichen AVrhältnissen der Gegenwart
nichts zu tunh
IV.
Wie im Verlaufe so mancher anderen weltgeschichtlichen Be-
gebenheit, so erschien auch während der Periode der Völkerwan-
derung ein einzelner Moment, in welchem sich die ganze Größe
der geschehenden Umwälzung blitzartig erleuchtet dem Gemüte
der Menschen enthüllte. Vielleicht hat niemals ein an sic.h keines-
wegs entscheidendes Ereignis einen zugleich so tiefen und so allge-
1 So setzt z. B. Ammian durchweg civitas, municipium, oppidum, urbs
einander gleich, wobei denn die ehemaligen Vöfkernamen in Gaffien der fakti-
schen Entwicklung gemäß nunmehr afs Städtenamen fungieren: civitatem
Remos petit: qua Ambiani sunt, urbs inter alias eminens; Treviros, domi-
cilium principum cfarum (X\h, 2, 8; XV, 11, 10; 9). Vgf. MoMMSEN zu Jor-
danis p. 181 s. v. civitas u. DAHN, Könige 67 ff. Auch Rom u. Konstan-
tinopel heißen civitas: civitas Roma, Alar. Avent. ad a. 547; magna nostra
civitas, Nov. 43 pr.: apud Constantinopoiim civitatem, Gesta reg. Franc.
32; 35.
2 fnstitut. I, 2, 1 quod quisque popufus ipse sibi jus constituit, id ipsius
proprium civitatis est vocaturque jus civife, quasi jus proprium ipsius civi-
tatis; quod vero naturalis ratio inter omnes homines constituit, id apud omnes
popufos peraeque custoditur vocaturque jus gentium, quasi quo jure omnes
gentes utuntur. Als Beispiel für ein nichtrömisches jus civife wird dann übri-
gens doch nur das athenische angeführt. Es bfeibt denn auch das jus gentium
als ein jus omni humano generi commune eine theoretische Fiktion; prak-
tisch bedeutet der Name ein zweites römisches Recht von mehr universell
reichsmäßiger Qualität, insofern es größtenteiis im Peregrinenverkehr, d. h.
im Kontakt mit den Angehörigen der früheren, jetzt vom orbis aufgesogenen
gentes entstanden war (s. PucHTA, Institutionen f §§ 83, 85). -— Daß unter
den allgemeinen romanistischen Phrasen der Lex Visigothorum (tit. II de
lege) civitas auch einmai afs 'Staat' vorkommt, kann nicht wundernehmen:
2. lex est gubernacuium civitatis; 3. lex regit omnem civitatis ordinem.
ALFRED DOVE:
eine weitere Diff'erenz zwischen der städtischen Kultur des Welt-
reiches und den ländlichen Zuständen der Barbarenstämme her-
vorzuhebenh Wenn dagegen den Juristen der späteren Zeit aller-
dings das Ideal eines auf der gleichen Anlage sämtlicher Völker,
des römischen wie der fremden, beruhenden jus gentium vor-
schwebte, bei dessen Definition sie den Unterschied zwischen
populus und gens geflissentlich verwischten, ja den gentes eben-
falls generell eine civitas zuschrieben, so hatte doch diese Speku-
lation hekanntermaßen nnt den 'Völkerschaften^ als solchen,
wie überhaupt mit den wirklichen AVrhältnissen der Gegenwart
nichts zu tunh
IV.
Wie im Verlaufe so mancher anderen weltgeschichtlichen Be-
gebenheit, so erschien auch während der Periode der Völkerwan-
derung ein einzelner Moment, in welchem sich die ganze Größe
der geschehenden Umwälzung blitzartig erleuchtet dem Gemüte
der Menschen enthüllte. Vielleicht hat niemals ein an sic.h keines-
wegs entscheidendes Ereignis einen zugleich so tiefen und so allge-
1 So setzt z. B. Ammian durchweg civitas, municipium, oppidum, urbs
einander gleich, wobei denn die ehemaligen Vöfkernamen in Gaffien der fakti-
schen Entwicklung gemäß nunmehr afs Städtenamen fungieren: civitatem
Remos petit: qua Ambiani sunt, urbs inter alias eminens; Treviros, domi-
cilium principum cfarum (X\h, 2, 8; XV, 11, 10; 9). Vgf. MoMMSEN zu Jor-
danis p. 181 s. v. civitas u. DAHN, Könige 67 ff. Auch Rom u. Konstan-
tinopel heißen civitas: civitas Roma, Alar. Avent. ad a. 547; magna nostra
civitas, Nov. 43 pr.: apud Constantinopoiim civitatem, Gesta reg. Franc.
32; 35.
2 fnstitut. I, 2, 1 quod quisque popufus ipse sibi jus constituit, id ipsius
proprium civitatis est vocaturque jus civife, quasi jus proprium ipsius civi-
tatis; quod vero naturalis ratio inter omnes homines constituit, id apud omnes
popufos peraeque custoditur vocaturque jus gentium, quasi quo jure omnes
gentes utuntur. Als Beispiel für ein nichtrömisches jus civife wird dann übri-
gens doch nur das athenische angeführt. Es bfeibt denn auch das jus gentium
als ein jus omni humano generi commune eine theoretische Fiktion; prak-
tisch bedeutet der Name ein zweites römisches Recht von mehr universell
reichsmäßiger Qualität, insofern es größtenteiis im Peregrinenverkehr, d. h.
im Kontakt mit den Angehörigen der früheren, jetzt vom orbis aufgesogenen
gentes entstanden war (s. PucHTA, Institutionen f §§ 83, 85). -— Daß unter
den allgemeinen romanistischen Phrasen der Lex Visigothorum (tit. II de
lege) civitas auch einmai afs 'Staat' vorkommt, kann nicht wundernehmen:
2. lex est gubernacuium civitatis; 3. lex regit omnem civitatis ordinem.