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ALFRED DoVE:
Macht jener stürmischen Tage anerkennen: die einzige, welche
dazu imstande war, das scheidende Altertum mit der hereindrin-
genden Neuzeit innerhch zu versöhnen. Eben im Christentum
hatte die erhabenste antike Idee, die der menschlichen Einheit,
einen so liebenswürdigen Ausdruck erhalten, daß sie in dieser
Gestalt auch das Herz der Barbaren gewann. Die Kirche, m vielen
Stücken ihrer äußeren Verfassung dem AVeltstaate nachgebildeH,
vermochte dennoch, worüber dieser in Trümmer ging, mit ihren
sanfteren Formen die feindiichen Uberwinder des Reiches in sich
aufzunehmen und zu hegen. In ihr fanden auch die 'VöIkerschaften'
eine Stätte; und gern möchte man gerade diesen Sinn in den
ahnungsvollen Worten des Augustinus und Orosius wiedererkennen.
Allein genau genommen reden sie von den 'Völkerschaften', wenig-
stens als solchen, nicht; sie brauchen vielmehr den Ausdruck
gentes in der technischen Bedeutung der Kirchensprache und ver-
stehen darunter demgemäß die 'Heiden': die Barbaren der Reli-
gion, wenn man will, jenseits der Grenzen des Gottesstaates; wobei
jedoch die Juden, obwohl sie nach der Erscheinung des Christen-
tums nicht mehr zur civitas Dei gehören, nichtsdestoweniger
sorgfältig ausgeschlossen werden. Ist doch gerade von den letzte-
ren der Begriff dieser εΑνη oder gentes ausgegangen, dessen Ent-
wicklung eine ganz selbständige, auch durch zufällige Berührung
mit den Verhältnissen des orbis Romanus nicht wesentlich abge-
lenkte Richtung verfolgt.
Was anderswo nur die negative Ergänzung des positiven
Nationalgefühles bildet, die Unterscheidung von den Fremden,
ist bei den Hebräern die Hauptsache: sie sind das ganz besondere,
auserlesene \^olk, himmelweit entfernt von dem Wesen aller übri-
gen, welche samt und sonders wenig taugen. Sie gehören deshalb
eigentlich überhaupt kaum zu den 'Gojim', d. h. den Nationen im
* Doch gilt dies nur von den späteren Stadien ihrer Entwicklung, von
der Organisation des Gesamtlebens der Ivirche irn großen, das sich natur-
gemäß dem Rahrnen der Reichsordnung einftigte. Im übrigen darf man auf
bloße Namensanklänge nichts geben. So deutet zwar die Gegenüberstellung
von ordo und plebs bei Tertullian usw. unverkennbar auf das Muster der
Munizipalverfassung; allein die älteren griechischen Benennungen κληρος
und λκός beweisen dennoch, daß auch hier ursprünglich biblische, d. h. jüdi-
sche Reminiscenzen vorschwebten. Es hat sich daher auch im lateinischen
Bereiche clerus und populus fest eingebürgert, Avährend ordo ins Abstrakte
zurückbog, plebes überwiegend räumlichen Sinn annahm und plebejus neben
laicus nur als Kuriosität vorkommt (vgl. DucANGE).
ALFRED DoVE:
Macht jener stürmischen Tage anerkennen: die einzige, welche
dazu imstande war, das scheidende Altertum mit der hereindrin-
genden Neuzeit innerhch zu versöhnen. Eben im Christentum
hatte die erhabenste antike Idee, die der menschlichen Einheit,
einen so liebenswürdigen Ausdruck erhalten, daß sie in dieser
Gestalt auch das Herz der Barbaren gewann. Die Kirche, m vielen
Stücken ihrer äußeren Verfassung dem AVeltstaate nachgebildeH,
vermochte dennoch, worüber dieser in Trümmer ging, mit ihren
sanfteren Formen die feindiichen Uberwinder des Reiches in sich
aufzunehmen und zu hegen. In ihr fanden auch die 'VöIkerschaften'
eine Stätte; und gern möchte man gerade diesen Sinn in den
ahnungsvollen Worten des Augustinus und Orosius wiedererkennen.
Allein genau genommen reden sie von den 'Völkerschaften', wenig-
stens als solchen, nicht; sie brauchen vielmehr den Ausdruck
gentes in der technischen Bedeutung der Kirchensprache und ver-
stehen darunter demgemäß die 'Heiden': die Barbaren der Reli-
gion, wenn man will, jenseits der Grenzen des Gottesstaates; wobei
jedoch die Juden, obwohl sie nach der Erscheinung des Christen-
tums nicht mehr zur civitas Dei gehören, nichtsdestoweniger
sorgfältig ausgeschlossen werden. Ist doch gerade von den letzte-
ren der Begriff dieser εΑνη oder gentes ausgegangen, dessen Ent-
wicklung eine ganz selbständige, auch durch zufällige Berührung
mit den Verhältnissen des orbis Romanus nicht wesentlich abge-
lenkte Richtung verfolgt.
Was anderswo nur die negative Ergänzung des positiven
Nationalgefühles bildet, die Unterscheidung von den Fremden,
ist bei den Hebräern die Hauptsache: sie sind das ganz besondere,
auserlesene \^olk, himmelweit entfernt von dem Wesen aller übri-
gen, welche samt und sonders wenig taugen. Sie gehören deshalb
eigentlich überhaupt kaum zu den 'Gojim', d. h. den Nationen im
* Doch gilt dies nur von den späteren Stadien ihrer Entwicklung, von
der Organisation des Gesamtlebens der Ivirche irn großen, das sich natur-
gemäß dem Rahrnen der Reichsordnung einftigte. Im übrigen darf man auf
bloße Namensanklänge nichts geben. So deutet zwar die Gegenüberstellung
von ordo und plebs bei Tertullian usw. unverkennbar auf das Muster der
Munizipalverfassung; allein die älteren griechischen Benennungen κληρος
und λκός beweisen dennoch, daß auch hier ursprünglich biblische, d. h. jüdi-
sche Reminiscenzen vorschwebten. Es hat sich daher auch im lateinischen
Bereiche clerus und populus fest eingebürgert, Avährend ordo ins Abstrakte
zurückbog, plebes überwiegend räumlichen Sinn annahm und plebejus neben
laicus nur als Kuriosität vorkommt (vgl. DucANGE).