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ALFRED DOVE:
goten ihrerseits ebenfalis den Titel Gut-thinda beigelegt. Ja,
wofern wir den einheimischen Gehrauch des letzteren genau so
weit erstreckt denken dürfen, als etwa bei Jordanis die Geltung
des Ausdruckes gens Gothorum reicht, so wird auch das vorge-
schichtliche gotische Gesamtvolk in sagenhaftem Andenken den
gleichen Namen erhalten habenh Wie dem aber auch sein mag,
mochte dieser Name noch so oft von gotischen Lippen ertönen:
es wäre ungemein verkehrt zu glauben, daß die Goten darum den
Charakter einer thiuda sich sefbst in höherem Grade, als anderen
Völkerschaften vindiziert haben müßten. Lag doch in Gut-thiuda
der Akzent natürlich — ganz so wie z. B. in Englishman — mit
voller Schärfe auf dem gentilen Eigennamen. Das 'Gotenvolk',
so oder so verstanden, blieb unter allen Umständen auch in seinen
eigenen Augen ein Volk unter tausend anderen, denen, wie sich aus
Ulfilas ergibt, auch die nationafe fnstitution des thiudans generelf
zugeschrieben ward. Gewiß darf man daher auch den polyethni-
schen Gesichtskreis der Goten, die Vielfältigkeit der Verwendung
des Namens thiuda m ihrem Munde, ungefähr nach der Rolle
bemessen, welche das Wort gens überhaupt in der Darsteflung des
Bezeichnung Lex Yisigothorum seibst bildet eine Ausnahme, ebenso wie die
Unterschrift Sisebutus rex Wisigothorum (Siseb. ep. VIII); beides scheint
nicht authentisch zu sein. Die Autoren geben dem Teil der Goten, mit dem
sie vorwiegend heschäftigt sind, den einfachen, dem fernerstehenden Volke
den differenzierten Namen; so heißen bei Prokop u. dem Anon. Vales. die
Ostgoten bloß Goten gegenüber den ausdrücklich sogenannten Westgoten;
umgekehrt gelten bei Isidor die fetzteren für die Goten schlechthin, wogegen
er die Ostgoten als solche aufführt (allerdings irrtümlich als Untertanen
Odoakers, während ihm Theoderich rex Italiae heißt, h. d. reg. Goth. 39, 36).
Das Gotos (d. h. Westgoten) Walagotos ('italienische' Ostgoten) der fränki-
schen Aüdkertafel ist also von gallischem Standpunkt aus nicht 'schief' und
besagt nicht, wie MüLLENnoFF meint (Abh. d.Berl. Ak. 1862 S. 536), daß die
Westgoten 'das Hauptvolk' seien, während 'die Macht der Ostgoten bereits
zerfiel'; chronologische Folgerungen in bezug auf das Alter der Interpolation
Walagotos lassen sich daher aus dieser verschiedenen Behandlung beider
Volksnamen nicht ziehen. Jordanis, der von beiden Völkern ziemlich gleich-
mäßig redet, braucht ganz folgerichtig beide Sondernamen, oder aber den
einfachen, wo keine Zweideutigkeit zu besorgen ist, sowohl für das eine, wie
das andere Volk (s. MoMMSEN, Index zu Jord. S. 188). Ahnlich verfährt
Paulus in der hist. Romana (s. dort 15, 6 seine falsche Hypothese über den
Ursprung der Sondernamen); in der hist. Langobardorum dagegen kennt er
nur Gothi, unterscheidet jedoch als Italiener wieder nach der oben bezeich-
neten Regel die Westgoten durch den Zusatz Hispani oder de Hispania.
^ S. MoMMSEN a. a. O. u. o. S. 42, A. 3.
ALFRED DOVE:
goten ihrerseits ebenfalis den Titel Gut-thinda beigelegt. Ja,
wofern wir den einheimischen Gehrauch des letzteren genau so
weit erstreckt denken dürfen, als etwa bei Jordanis die Geltung
des Ausdruckes gens Gothorum reicht, so wird auch das vorge-
schichtliche gotische Gesamtvolk in sagenhaftem Andenken den
gleichen Namen erhalten habenh Wie dem aber auch sein mag,
mochte dieser Name noch so oft von gotischen Lippen ertönen:
es wäre ungemein verkehrt zu glauben, daß die Goten darum den
Charakter einer thiuda sich sefbst in höherem Grade, als anderen
Völkerschaften vindiziert haben müßten. Lag doch in Gut-thiuda
der Akzent natürlich — ganz so wie z. B. in Englishman — mit
voller Schärfe auf dem gentilen Eigennamen. Das 'Gotenvolk',
so oder so verstanden, blieb unter allen Umständen auch in seinen
eigenen Augen ein Volk unter tausend anderen, denen, wie sich aus
Ulfilas ergibt, auch die nationafe fnstitution des thiudans generelf
zugeschrieben ward. Gewiß darf man daher auch den polyethni-
schen Gesichtskreis der Goten, die Vielfältigkeit der Verwendung
des Namens thiuda m ihrem Munde, ungefähr nach der Rolle
bemessen, welche das Wort gens überhaupt in der Darsteflung des
Bezeichnung Lex Yisigothorum seibst bildet eine Ausnahme, ebenso wie die
Unterschrift Sisebutus rex Wisigothorum (Siseb. ep. VIII); beides scheint
nicht authentisch zu sein. Die Autoren geben dem Teil der Goten, mit dem
sie vorwiegend heschäftigt sind, den einfachen, dem fernerstehenden Volke
den differenzierten Namen; so heißen bei Prokop u. dem Anon. Vales. die
Ostgoten bloß Goten gegenüber den ausdrücklich sogenannten Westgoten;
umgekehrt gelten bei Isidor die fetzteren für die Goten schlechthin, wogegen
er die Ostgoten als solche aufführt (allerdings irrtümlich als Untertanen
Odoakers, während ihm Theoderich rex Italiae heißt, h. d. reg. Goth. 39, 36).
Das Gotos (d. h. Westgoten) Walagotos ('italienische' Ostgoten) der fränki-
schen Aüdkertafel ist also von gallischem Standpunkt aus nicht 'schief' und
besagt nicht, wie MüLLENnoFF meint (Abh. d.Berl. Ak. 1862 S. 536), daß die
Westgoten 'das Hauptvolk' seien, während 'die Macht der Ostgoten bereits
zerfiel'; chronologische Folgerungen in bezug auf das Alter der Interpolation
Walagotos lassen sich daher aus dieser verschiedenen Behandlung beider
Volksnamen nicht ziehen. Jordanis, der von beiden Völkern ziemlich gleich-
mäßig redet, braucht ganz folgerichtig beide Sondernamen, oder aber den
einfachen, wo keine Zweideutigkeit zu besorgen ist, sowohl für das eine, wie
das andere Volk (s. MoMMSEN, Index zu Jord. S. 188). Ahnlich verfährt
Paulus in der hist. Romana (s. dort 15, 6 seine falsche Hypothese über den
Ursprung der Sondernamen); in der hist. Langobardorum dagegen kennt er
nur Gothi, unterscheidet jedoch als Italiener wieder nach der oben bezeich-
neten Regel die Westgoten durch den Zusatz Hispani oder de Hispania.
^ S. MoMMSEN a. a. O. u. o. S. 42, A. 3.