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Rudolf Pagenstecher:
Teile des Gewandes, eines hinten herabhängenden Mantels, neben
dem rechten Bein sichtbar werden. Der Eindruck, als trüge der
Jüngling eine Mütze, wird wohl nur durch die Photographie und
das starke Absetzen des Haares von der Stirn verursacht. Der
sonst sehr sorgfältige Text des Verfassers erwähnt nichts davon.
Derartige kleine Abweichungen, wie Mantel und Kopfhaltung,
dürfen wir einem Arbeiter des zweiten oder dritten Jahrhunderts
nicht übel nehmen. Jedenfalls muß die Möglichkeit zugegeben
werden, daß das Urbild dieses in seinem Kreise auffallend guten
Werkes Lysipps Alexander Doryphoros gewesen ist. Solche Schnitze-
reien sind alle ägyptische Arbeiten niedrigster Stufe, nehmen sich
also gewiß die zunächst liegenden Dinge zum Vorbild. Damit
wächst die Wahrscheinlichkeit, daß das genannte Werk des Lysipp
tatsächlich in Ägypten und doch gewiß in Alexandrien gestanden
hat. Wir können es unter diesen Umständen begreifen, wenn in
Alexandrien ein Künstler unter dem Einfluß dieses Wunderwerkes
seinen Hermes Enagonios schuf, einem Einfluß, der ihm selbst
gewiß gar nicht zum Bewußtsein kam.
Tun wir somit gut, uns von Lysipp nicht allzuweit zu entfernen,
anderseits nach der Gründung Alexandriens doch noch einige Jahre
verstreichen zu lassen, bis dem alexandrinischen Hermes ein solches
Weihgeschenk errichtet werden konnte, so kommen wir an die
Jahrhundertwende, als der Schüler und Nachfolger des Lysipp,
Boidas, seinen betenden Knaben arbeitete1. Und es ist gewiß kein
Zufall, daß wir kaum eine Parallele zum Stand des Hermes mit so
viel Recht heranziehen können, als ihn. Dadurch, daß der rechte
Fuß der Stuttgarter Statuette gebrochen ist, wird der unmittel-
bare Eindruck der Gleichartigkeit etwas verwischt, wie auch unsere
Aufnahme (Taf. II. III) den Hermes stärker zurückgeneigt gibt
als es dem Original entspricht. Das Aneinanderschmiegen der
Beine aber steht in offenbarem Gegensatz zu dem breitspurigen
Stand lysippischer Werke. Dem Knaben des Boidas, dessen
eigenartige Schönheit nicht durch Zusammenstellung mit ganz
andersartigen Werken beeinträchtigt werden sollte2, schließt sich
unser Hermes Enagonios zeitlich am ehesten an.
1 Die Kombination von Lucas, Neue Jahrb. f. d. kl. Altert. 1912,
112ff. scheint mir sehr einleuchtend; vgl. Bulle, Der schöne Mensch S. 122;
Amelung, Thieme-Beckers Künstlerlexikon IV, 187.
2 Eine seltsame Gruppierung hat Willers, Studien zur griechischen
Kunst Taf. XIII vorgenommen.
Rudolf Pagenstecher:
Teile des Gewandes, eines hinten herabhängenden Mantels, neben
dem rechten Bein sichtbar werden. Der Eindruck, als trüge der
Jüngling eine Mütze, wird wohl nur durch die Photographie und
das starke Absetzen des Haares von der Stirn verursacht. Der
sonst sehr sorgfältige Text des Verfassers erwähnt nichts davon.
Derartige kleine Abweichungen, wie Mantel und Kopfhaltung,
dürfen wir einem Arbeiter des zweiten oder dritten Jahrhunderts
nicht übel nehmen. Jedenfalls muß die Möglichkeit zugegeben
werden, daß das Urbild dieses in seinem Kreise auffallend guten
Werkes Lysipps Alexander Doryphoros gewesen ist. Solche Schnitze-
reien sind alle ägyptische Arbeiten niedrigster Stufe, nehmen sich
also gewiß die zunächst liegenden Dinge zum Vorbild. Damit
wächst die Wahrscheinlichkeit, daß das genannte Werk des Lysipp
tatsächlich in Ägypten und doch gewiß in Alexandrien gestanden
hat. Wir können es unter diesen Umständen begreifen, wenn in
Alexandrien ein Künstler unter dem Einfluß dieses Wunderwerkes
seinen Hermes Enagonios schuf, einem Einfluß, der ihm selbst
gewiß gar nicht zum Bewußtsein kam.
Tun wir somit gut, uns von Lysipp nicht allzuweit zu entfernen,
anderseits nach der Gründung Alexandriens doch noch einige Jahre
verstreichen zu lassen, bis dem alexandrinischen Hermes ein solches
Weihgeschenk errichtet werden konnte, so kommen wir an die
Jahrhundertwende, als der Schüler und Nachfolger des Lysipp,
Boidas, seinen betenden Knaben arbeitete1. Und es ist gewiß kein
Zufall, daß wir kaum eine Parallele zum Stand des Hermes mit so
viel Recht heranziehen können, als ihn. Dadurch, daß der rechte
Fuß der Stuttgarter Statuette gebrochen ist, wird der unmittel-
bare Eindruck der Gleichartigkeit etwas verwischt, wie auch unsere
Aufnahme (Taf. II. III) den Hermes stärker zurückgeneigt gibt
als es dem Original entspricht. Das Aneinanderschmiegen der
Beine aber steht in offenbarem Gegensatz zu dem breitspurigen
Stand lysippischer Werke. Dem Knaben des Boidas, dessen
eigenartige Schönheit nicht durch Zusammenstellung mit ganz
andersartigen Werken beeinträchtigt werden sollte2, schließt sich
unser Hermes Enagonios zeitlich am ehesten an.
1 Die Kombination von Lucas, Neue Jahrb. f. d. kl. Altert. 1912,
112ff. scheint mir sehr einleuchtend; vgl. Bulle, Der schöne Mensch S. 122;
Amelung, Thieme-Beckers Künstlerlexikon IV, 187.
2 Eine seltsame Gruppierung hat Willers, Studien zur griechischen
Kunst Taf. XIII vorgenommen.