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,KARLHAMPE:
fast Pag für Tag, öfter mehrmals täglich, den Regierungen über-
sandten, in alle Absichten und Pläne einführenden Berichte der
bevollmächtigten Vertreter müßte es als höchst auffällig an-
gesehen werden, wenn sich über eine so wichtige, mit voller Über-
legung vorgenommene Änderung in der europäischen Stellung
Belgiens, insbesondere der Garantieverpflichtungen der Mächte,
nirgends auch nur die leiseste Andeutung fände.
Für die belgischen Akten hat das in der Brüsseler Senats-
sitzung vom 6. (nicht 5.) Juni 190t der damalige Minister des Aus-
wärtigen de Favereau mit den Worten behauptet :.,,J'ai etudie
t.res attentivement les protocoles de la Conference de Londres et la
correspondance diplomatique, et je puis assurer que je n'ai trouve,
en ce qui concerne la garantie, rien qui permette d'affirmer que les
dispositions des puissances se soient modifiees. Les textes sont
modifies, mais leur sens et leur portee restent les memes." R.
meint nun freilich, wenn das mehr sein solle als die diplomatische
Phrase eines vorsichtig-zurückhaltenden Staatsmannes, wenn er
damit ein geschichtliches Urteil habe abgeben wollen, ,,so weiß
man nicht, worüber man mehr staunen soll, ob über die Tiefe
und Gründlichkeit seines Studiums oder über die Schärfe seines
historischen Blickes, — denn angesichts der veränderten Be-
stimmungen der 24 gegenüber den 18 Artikeln (ganz abgesehen
von der Weglassung der beiden ominösen Wörter ,,Integrität/'
und ,,Unverletzlichkeit") konnte kein Zweifel bestehen, daß sich
die Dispositionen der Viermächte gegenüber Belgien unter dem
Einflüsse des französischen Einmarsches und der damals zwischen
Frankreich und ihnen spielenden heftigen Meinungsverschieden-
heiten in der Festungsfrage ganz Frhcbiirh verschlechtert hatten".
R. hätte sich selbst sagen sollen, daß der Minister so ungereimtes
Zeug, das ihm jeder gebildete Belgier hätte widerlegen können,
nicht wohl habe aussprechen können; in der Tat konnte R. zu
diesem vernichtenden Urteil nur deshalb kommen, weil er Favereaus
Worte ,,en ce qui concerne la garantie" übersehen und in seiner
Wiedergabe ausgelassen hat; nur hinsichtlich der Garantie, be-
hauptete Favereau, hätten sich die Dispositionen der Mächte da-
mals nicht nachweisbar gewandelt. Ich meinerseits glaube Favereaus
Aussage nicht ganz beiseite schieben zu dürfen; immerhin hat
man ja die Akten nicht selbst mit ihm durchgeblättert und darf
sich daher als Historiker noch nicht unbedingt darauf verlassen,
daß er nicht doch etwas übersehen haben könnte.
,KARLHAMPE:
fast Pag für Tag, öfter mehrmals täglich, den Regierungen über-
sandten, in alle Absichten und Pläne einführenden Berichte der
bevollmächtigten Vertreter müßte es als höchst auffällig an-
gesehen werden, wenn sich über eine so wichtige, mit voller Über-
legung vorgenommene Änderung in der europäischen Stellung
Belgiens, insbesondere der Garantieverpflichtungen der Mächte,
nirgends auch nur die leiseste Andeutung fände.
Für die belgischen Akten hat das in der Brüsseler Senats-
sitzung vom 6. (nicht 5.) Juni 190t der damalige Minister des Aus-
wärtigen de Favereau mit den Worten behauptet :.,,J'ai etudie
t.res attentivement les protocoles de la Conference de Londres et la
correspondance diplomatique, et je puis assurer que je n'ai trouve,
en ce qui concerne la garantie, rien qui permette d'affirmer que les
dispositions des puissances se soient modifiees. Les textes sont
modifies, mais leur sens et leur portee restent les memes." R.
meint nun freilich, wenn das mehr sein solle als die diplomatische
Phrase eines vorsichtig-zurückhaltenden Staatsmannes, wenn er
damit ein geschichtliches Urteil habe abgeben wollen, ,,so weiß
man nicht, worüber man mehr staunen soll, ob über die Tiefe
und Gründlichkeit seines Studiums oder über die Schärfe seines
historischen Blickes, — denn angesichts der veränderten Be-
stimmungen der 24 gegenüber den 18 Artikeln (ganz abgesehen
von der Weglassung der beiden ominösen Wörter ,,Integrität/'
und ,,Unverletzlichkeit") konnte kein Zweifel bestehen, daß sich
die Dispositionen der Viermächte gegenüber Belgien unter dem
Einflüsse des französischen Einmarsches und der damals zwischen
Frankreich und ihnen spielenden heftigen Meinungsverschieden-
heiten in der Festungsfrage ganz Frhcbiirh verschlechtert hatten".
R. hätte sich selbst sagen sollen, daß der Minister so ungereimtes
Zeug, das ihm jeder gebildete Belgier hätte widerlegen können,
nicht wohl habe aussprechen können; in der Tat konnte R. zu
diesem vernichtenden Urteil nur deshalb kommen, weil er Favereaus
Worte ,,en ce qui concerne la garantie" übersehen und in seiner
Wiedergabe ausgelassen hat; nur hinsichtlich der Garantie, be-
hauptete Favereau, hätten sich die Dispositionen der Mächte da-
mals nicht nachweisbar gewandelt. Ich meinerseits glaube Favereaus
Aussage nicht ganz beiseite schieben zu dürfen; immerhin hat
man ja die Akten nicht selbst mit ihm durchgeblättert und darf
sich daher als Historiker noch nicht unbedingt darauf verlassen,
daß er nicht doch etwas übersehen haben könnte.