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August Hausrath:
zendenz die generatio aequivoca. Darum sagt auch Crusius in
seiner geistreichen, aus vollkommener Beherrschung des Materials
schöpfenden Skizze: Fragmente aus der Geschichte der Fabel1
mit Recht: „Nach der Heimat der Fabel zu forschen, ist sinnlos.“
Die Heimat einzelner Fabeln aber wird sich ermitteln lassen, in-
dem man untersucht, bei welchem Volk sich bestimmte Anschau-
ungen, charakteristische Bräuche, naturwissenschaftliche Para-
doxa und Ähnliches zu einer Zeit nachweisen lassen, wo Über-
tragung von einem Fremdvolk aus historischen Gründen nicht
anzunehmen ist. Das ist der Weg, auf dem E. Rohde, Crusius,
August Marx und ich bisher m. E. noch unwiderlegt die Priori-
tät der griechischen Fabel erwiesen haben. Auch für den vor-
liegenden Fall sagt Crusius a. a. 0. p. LXII mit Beziehung auf
Eduard Meyer: „ob im fünften Jahrhundert von einer griechi-
schen Einwirkung auf die orientalische Literatur die Rede sein
kann, wird von Fall zu Fall geprüft werden müssen.“
Ehe wir uns anschicken das zu tun, sind noch einige Bemer-
kungen über das von Smend nicht richtig beurteilte Material der
Aesopica vorauszuschicken.
Die heutige Forschung nimmt an, daß die aesopischen Fabeln
zuerst im Rahmen des jonischen Volksbuches „vom klugen Knecht
Aesop“ vorgetragen worden sind. Dieses Volksbuch des 6. Jahr-
hunderts, in das im Laufe der Zeit alle möglichen Fabeln, Mär-
chen, Schwänke, Witze, Sentenzen und Anekdoten aus anderen
Quellen eingeschaltet wurden, liegt in letzter Fassung, wie oben
schon ausgeführt wurde, im Aesoproman vor. Daneben aber be-
mächtigt sich die Rhetorenschule der Fabel, die dort in den Pro-
gymnasmata ihre feste Stellung fand und zu allerhand schul-
gemäßen Übungen verwendet wurde2. So treten neben die volks-
tümlichen Fabeln „Aesops“ die literarischen Produkte der Rhetoren-
schule. Ein solcher Rhetor ist der späte Aphthonius, dessen Name
noch genannt werden wird (4.—5. Jahrhundert), Schüler der
Rhetorik sind aber ebensowohl Phädrus (unter Tiberius) wie
Babrius, den man heute eher ins zweite als ins dritte Jahrhundert
zu setzen geneigt ist. Aber beide Dichter benutzten ebenso das
alte Volksbuch von Aesop wie die Handbücher der Rhetoren-
schulen. Schließlich sind dann noch die Skazonten des Babrius
1 In Kleuckes Buch der Fabeln, 1913, S. IV.
2 Für die Einzelheiten vgl. Hausrath, Neue Jahrbücher I 305ff.
August Hausrath:
zendenz die generatio aequivoca. Darum sagt auch Crusius in
seiner geistreichen, aus vollkommener Beherrschung des Materials
schöpfenden Skizze: Fragmente aus der Geschichte der Fabel1
mit Recht: „Nach der Heimat der Fabel zu forschen, ist sinnlos.“
Die Heimat einzelner Fabeln aber wird sich ermitteln lassen, in-
dem man untersucht, bei welchem Volk sich bestimmte Anschau-
ungen, charakteristische Bräuche, naturwissenschaftliche Para-
doxa und Ähnliches zu einer Zeit nachweisen lassen, wo Über-
tragung von einem Fremdvolk aus historischen Gründen nicht
anzunehmen ist. Das ist der Weg, auf dem E. Rohde, Crusius,
August Marx und ich bisher m. E. noch unwiderlegt die Priori-
tät der griechischen Fabel erwiesen haben. Auch für den vor-
liegenden Fall sagt Crusius a. a. 0. p. LXII mit Beziehung auf
Eduard Meyer: „ob im fünften Jahrhundert von einer griechi-
schen Einwirkung auf die orientalische Literatur die Rede sein
kann, wird von Fall zu Fall geprüft werden müssen.“
Ehe wir uns anschicken das zu tun, sind noch einige Bemer-
kungen über das von Smend nicht richtig beurteilte Material der
Aesopica vorauszuschicken.
Die heutige Forschung nimmt an, daß die aesopischen Fabeln
zuerst im Rahmen des jonischen Volksbuches „vom klugen Knecht
Aesop“ vorgetragen worden sind. Dieses Volksbuch des 6. Jahr-
hunderts, in das im Laufe der Zeit alle möglichen Fabeln, Mär-
chen, Schwänke, Witze, Sentenzen und Anekdoten aus anderen
Quellen eingeschaltet wurden, liegt in letzter Fassung, wie oben
schon ausgeführt wurde, im Aesoproman vor. Daneben aber be-
mächtigt sich die Rhetorenschule der Fabel, die dort in den Pro-
gymnasmata ihre feste Stellung fand und zu allerhand schul-
gemäßen Übungen verwendet wurde2. So treten neben die volks-
tümlichen Fabeln „Aesops“ die literarischen Produkte der Rhetoren-
schule. Ein solcher Rhetor ist der späte Aphthonius, dessen Name
noch genannt werden wird (4.—5. Jahrhundert), Schüler der
Rhetorik sind aber ebensowohl Phädrus (unter Tiberius) wie
Babrius, den man heute eher ins zweite als ins dritte Jahrhundert
zu setzen geneigt ist. Aber beide Dichter benutzten ebenso das
alte Volksbuch von Aesop wie die Handbücher der Rhetoren-
schulen. Schließlich sind dann noch die Skazonten des Babrius
1 In Kleuckes Buch der Fabeln, 1913, S. IV.
2 Für die Einzelheiten vgl. Hausrath, Neue Jahrbücher I 305ff.