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August Hausrath:
Sachau, Tafel 49. 2—3. Wenn dein Herr dir befiehlt, Wasser
zu hüten [und du tust es, wird dein Herr dafür] Gold in deiner
Hand zurücklassen. —
In der Tat, ein „Loblied auf assyrische Vasallentreue“1, die
trübe Weisheit eines vom Geschick verfolgten Mannes, der demütig
dem König huldigt, der der Vertreter des Systems ist, unter dem
er leidet. Aber durch keinerlei Umdichtung konnte aus diesem
Hofroman das durch und durch revolutionäre Volksbuch von
Aesop hervorgehen.
Diese Erkenntnis wird uns auch die oben schon angedeuteten
Gegensätze zwischen griechischer und orientalischer Fabeldich-
tung schärfer betonen lassen als das vielleicht zunächst geboten
erscheinen könnte. Unentwickelt, kaum dem Bild entwachsen,
stehen zwischen den Weisheitssprüchen Achiqars nüchtern und
farblos die Fabeln. Damit vergleiche man die griechischen Fabeln
in ihrer poesievollen Einkleidung, ihrer gemütvollen Vertiefung in
das Naturleben, ihrem lebendigen Witz und ihrer dramatischen
Plastik. Ich ziehe hier zur Vervollständigung noch einige weitere
ahoi heran, die wir bis in die ältesten Zeiten griechischer Litera-
tur zurückverfolgen können. So das poesievolle ätiologische2
Märchen vom Adler und Mistkäfer, das Semonides von Amorgus
in Jamben formte3. Der Hase ruft auf der Flucht vor dem Adler
den Mistkäfer um Schutz an und dieser verlangt auch vom Adler,
daß er seinen Ικέτης verschone. Da der ihn aber trotzdem zer-
reißt, spürt in der Folge der erboste Käfer überall den Eiern des
Adlers nach und vernichtet sie. Selbst als dieser zu Zeus flüchtet
und im Bausch von dessen Gewand brüten darf, erscheint der
Käfer im Olymp und läßt dem Zeus ein Mistkügelchen auf die
Brust fallen, so daß dieser entsetzt aufspringend die Eier des
Adlers zu Boden wirft, wo sie zerbrechen. Weiter die Fabeln vom
Pferd, das aus Mißgunst gegen den Hirsch den Menschen auf den
Rücken nahm, der ihm versprochen hatte den Hirsch zu vertrei-
ben, und so selbst die Freiheit verlor, oder die vom Fuchs, der
vor der Höhle des Löwen stehend aus der Richtung der Fußspuren
das Los derer erkennt, die hier eintreten. Mit der ersteren hat
1 Meissner S. 26.
2 απ’ εκείνον τε φασίν, περί δν καιρόν οι κάνθαροι γίνονται, τουζ άετούζ
μη νεοττενειν. Aes. Hlm. 7.
3 Auch Semonides verwendet die Geschichte polemisch im Kampf
der Stände. Crusius p. XIV. XV.
August Hausrath:
Sachau, Tafel 49. 2—3. Wenn dein Herr dir befiehlt, Wasser
zu hüten [und du tust es, wird dein Herr dafür] Gold in deiner
Hand zurücklassen. —
In der Tat, ein „Loblied auf assyrische Vasallentreue“1, die
trübe Weisheit eines vom Geschick verfolgten Mannes, der demütig
dem König huldigt, der der Vertreter des Systems ist, unter dem
er leidet. Aber durch keinerlei Umdichtung konnte aus diesem
Hofroman das durch und durch revolutionäre Volksbuch von
Aesop hervorgehen.
Diese Erkenntnis wird uns auch die oben schon angedeuteten
Gegensätze zwischen griechischer und orientalischer Fabeldich-
tung schärfer betonen lassen als das vielleicht zunächst geboten
erscheinen könnte. Unentwickelt, kaum dem Bild entwachsen,
stehen zwischen den Weisheitssprüchen Achiqars nüchtern und
farblos die Fabeln. Damit vergleiche man die griechischen Fabeln
in ihrer poesievollen Einkleidung, ihrer gemütvollen Vertiefung in
das Naturleben, ihrem lebendigen Witz und ihrer dramatischen
Plastik. Ich ziehe hier zur Vervollständigung noch einige weitere
ahoi heran, die wir bis in die ältesten Zeiten griechischer Litera-
tur zurückverfolgen können. So das poesievolle ätiologische2
Märchen vom Adler und Mistkäfer, das Semonides von Amorgus
in Jamben formte3. Der Hase ruft auf der Flucht vor dem Adler
den Mistkäfer um Schutz an und dieser verlangt auch vom Adler,
daß er seinen Ικέτης verschone. Da der ihn aber trotzdem zer-
reißt, spürt in der Folge der erboste Käfer überall den Eiern des
Adlers nach und vernichtet sie. Selbst als dieser zu Zeus flüchtet
und im Bausch von dessen Gewand brüten darf, erscheint der
Käfer im Olymp und läßt dem Zeus ein Mistkügelchen auf die
Brust fallen, so daß dieser entsetzt aufspringend die Eier des
Adlers zu Boden wirft, wo sie zerbrechen. Weiter die Fabeln vom
Pferd, das aus Mißgunst gegen den Hirsch den Menschen auf den
Rücken nahm, der ihm versprochen hatte den Hirsch zu vertrei-
ben, und so selbst die Freiheit verlor, oder die vom Fuchs, der
vor der Höhle des Löwen stehend aus der Richtung der Fußspuren
das Los derer erkennt, die hier eintreten. Mit der ersteren hat
1 Meissner S. 26.
2 απ’ εκείνον τε φασίν, περί δν καιρόν οι κάνθαροι γίνονται, τουζ άετούζ
μη νεοττενειν. Aes. Hlm. 7.
3 Auch Semonides verwendet die Geschichte polemisch im Kampf
der Stände. Crusius p. XIV. XV.