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Neckel, Gustav; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1918, 7. Abhandlung): Studien zu den germanischen Dichtungen vom Weltuntergang — Heidelberg, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.37669#0048
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48

Gustav Neckel:

wie das des 'Feuerkönigs’ von Kambodscha. Hierfür spricht, daß
der Gefesselte im Kaukasus ein Erdbebendämon ist: wenn er in
Raserei seine Fesseln schüttelt, so zittert das Gebirge. Die Er-
wartung eines Weltuntergangs durch Feuer beruht gewiß großen-
teils auf der Erinnerung an vulkanische Ausbrüche. Dies ist nicht
nur klar bei gewissen indianischen Ragnaröksagen1, sondern auch
beim indischen Weltbrand, soweit ihn die unterirdische Schlange
Sescha mit ihrem brennenden Atem erzeugt. Dieses Untier, das
auf seinen tausend Köpfen die Erde trägt, erregt wahrscheinlich
auch Erdbeben und ist dann einer der Belege dafür, daß 'von der
Erdbebenschlange der Weg nur kurz ist zum Welt Vernichter’2.
Was von der Erdbebenschlange gilt, das gilt ebenso vom menschen-
gestaltigen Erdbebendämon. Das Schwert des letzteren entspricht
also dem feurigen Atem des Untiers.
Die Bebenerreger leben im Innern der Erde oder der Berge.
So Sescha und die gefesselte Ragnarökschlange der Perser, Azi-
Dahaka, die im Demawend liegt. So der gefesselte Dämon im
Kaukasus und der armenische Ardawazt: sie liegen in tiefen
Schluchten oder Höhlen des Gebirges. Und so auch Surt. Es ist
der altnordischen Überlieferung noch sehr wohl bekannt, daß dieser
ein in der Tiefe der Berge hausender Riese ist3. Es ist nun klar,
wie dies gemeint ist, und wie es mit Surts Lohe und mit Surts
Schwert zusammenhängt.
Zugleich ist klar, daß dieser Surt, die 'Personifikation des
vulkanischen Feuers’, nicht dem isländischen Vulkanismus sein
Dasein verdanken kann. Die Parallelen zu einer solchen Mythen-
bildung finden sich in dem uns von Anfang seiner Geschichte an
so gut bekannten Island nirgends, wohl aber, wie wir sahen, weit
außerhalb Skandinaviens. Auch der Quellenbefund — z. B. die Er-
wähnung des Surt bei dem norwegischen Skalden Eyvindr Finnsson
— verbietet es, Surt für eine erst isländische Schöpfung zu halten4.
Surt ist vielmehr ein naher Verwandter des gefesselten und
loskommenden Loki5. Wie dieser ein ausgewanderter Kaukasus-
1 Olrik 2, 258.
2 Olrik 2, 208.
3 Eyvindr Finnsson, Häleygiatal (10. Jh.); FQlsvinnzmal (12. Jahrh.);
Landnamabök; die Höhle Surtshellir auf Island; Hellisvisur (um 1300).
Vgl. Olrik 1, 73f. Bj. Olsen, Arkiv 30, 143—145.
4 Vgl. Olrik 2, 123f.
5 Bj. Olsen, Ark. 30, 142f. (vgl. 138) findet in Vsp. 47 eine Erwähnung
des gefesselten und loskommenden Surt. Er läßt sich dabei leiten von dem
 
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