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Weinreich, Otto; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 16. Abhandlung): Stiftung und Kultsatzungen eines Privatheiligtums in Philadelpheia in Lydien — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37693#0058
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56

O. Weinreich :

ist aber gewiß das Richtige, vgl. auch Leo, Rom. Lit.-Gesch. I,
17A. 3. Es spricht für das sittliche Streben und die Aufgeklärt-
heit des Kultstifters, daß er gegen derartige Auswüchse antiker
Superstition Front macht.
§ 88. Z. 20 φθορεΐον und άτοκεΐον
sind Mittel, die Vernichtung der Leibesfrucht, bezw. Verhinderung
der Konzeption bezwecken. Es braucht an sich gar nicht an gewalt-
same Eingriffe hier gedacht zu sein, sondern der Zusammenhang
mit dem Vorhergehenden könnte die Deutung auf magische
Mittel zur Verhütung der Konzeption und Vernichtung der Frucht
nahelegen. Daß es solche massenhaft gab, sehen wir aus dies-
bezüglichen Angaben bei Soran, der sie ablehnt, und Aetios, der
magische άτόκια und φθόρια mitteilt (vgl. Ilberg, Arch.f. Rel. Wiss.
XIII, 1910, 13ff.). Aber wie dem auch sei, jedenfalls nimmt
Dionysios in seinen Sittlichkeitsvorschriften Rücksicht auf dies
Problem der „gynaekologischen Ethik“, das im Altertum ja eine
große Rolle spielte, Mediziner und Philosophen, Staatsmänner und
Priester beschäftigt hat, vgl. außer Hermann-Blümner, Griech.
Privataltertümer 76 namentlich die Aufsätze von S. Reinach,
S. Wibe, J. Ilberg Arch. f. Rel.-Wiss. IX 1906, 312ff., XII 1909
224ff., XIII 1910, 1 ff.. Roscher, Philol. 71, 1912, 309. Wir
kennen Reinheitsinschriften, die das Betreten eines Heiligtums
nach (freiwilligem oder unfreiwilligem) Abortus erst nach Ablauf
einer bestimmten, gewöhnlich 40tägigen Frist gestatten (vgl.
Wächter, a. a. O. 30, Syll.2 567; 633 = 3983; 1042); darin ist aber
über Strafbarkeit der Handlung selbst nichts ausgesagt, den Kult
geht nur das an, daß die betreffende Frau eben nicht mehr im
Zustand der rituellen Unreinheit sein darf; die ethische Seite der
Frage bleibt ganz außer Spiel. Im Gegensatz dazu gibt unsere
Inschrift keine Unreinheitsfrist, sondern legt alles Gewicht auf die
ethische Frage selbst. Die Handlung selbst wird verboten, das
Verbrechen gegen die Nachkommenschaft.
§ 89. Es ist in der oben genannten Literatur die Frage aufgeworfen
worden, woher das Verbot dieser Verbrechen gegen das keimende
Leben stammt. Reinach sagte, aus orphischen Kreisen, gestützt
auf die Petrusapokalypse (a. a. O. 321); Wide, aus jüdischen. Für
beide Thesen ist das Fundament nicht tragfähig genug, wie Ilberg
mit Recht darlegte, der auch einen Satz des Hippokrateseides mit
 
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