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O. Weinreich:
durch Überreichung eines Klagelibellus (πιττάκιον) an die Gottheit;
diese πιττάκια wurden dann an einem sichtbaren Ort im heiligen
Bezirk als öffentliche Bekanntmachungen aufgehängt, wo der
Gott deren Inhalt kennen lernen und den Übeltäter strafen kann,
falls dieser nicht von selbst, um der Bache des Gottes zu entgehen,
seine Schuld eingesteht und soviel als möglich Wiedergutmachung
leistet. Kommt es zu einem wirklichen Prozeß, so vertreten die
Priester die Gottheit und sprechen das Urteil.
92. Z. 25ff. und 35ff. Vorschriften über sexuelle Reinheit.
Dem verheirateten Mann ist Geschlechtsverkehr verboten mit
andern Ehefrauen, mit verheirateten Sklavinnen, mit Knaben und
Mädchen. Da dem Mann nicht schlechthin jeder außereheliche
Verkehr untersagt wird, wie Z. 35 der Frau, so scheint das Ver-
hältnis mit einer unverheirateten Sklavin nicht strafbar gewesen
zu sein. Über unverheiratete Männer wird nichts ausgesagt. Bei
der Ehefrau ist die Moral noch strenger: ihr wird jeder außer-
eheliche Verkehr verboten. Ist das pythagoreisch? Die Theano
soll έρωτηΤεΐσαν ποσταία γυνή άπ’ άνδρος καΤαρεύει, geantwortet
haben ,,άπό μέν του ίδιου παραχρήμα, άπο δέ του άλλοτρίου ουδέποτε1 ή
(Diog. Laert. VIII 1, 43, vgl. Steinleitner a. a. 0. 96 A. 2 und
F. Buddenhagen, περί γάμου, Diss. Basel 1918, S. 30 A. 1). Über
πορνεύειν enthält die Inschrift nichts, das Christentum verbietet
auch dies (vgl. oben die Tabelle).
Wie die Verbote der Abtreibung und Konzeptionsverhinder ung,
so dienen auch diese sexuellen Verbote der Hebung der Sittlich-
keit und steuern auf das Ideal zu, das der vorhin schon zitierte
Musonius in seinem Traktat τί κεφάλαιον γάμου als Leitsatz
ausspricht: βίου καί γενέσεως παίδων κοινωνίαν κεφάλαιον είναι γάμου
(S. 67 Hense, wo Parallelen). Das stimmt überein mit den
strengen Anforderungen, die der alte Platon (Ges. VIII 839Aff.,
841D u. sonst) und die Stoa (z. B. Musonius S. 63ff., Seneca
ep. 94, 26 u. a.) vor allem stellten.
Über die kultisch unrein machende sexuelle Sünde vgl. E.
Fehrle, Kultische Keuschheit (RGW. VI, 1910), bes. S. 133
(phrygischer Lairbenoskult), und Steinleitner 87ff.
93. Z. 33 -θ-εοί . . . ίδρυνται μεγάλοι (über dies gerade in Klein-
asien häufige Epitheton vgl. B. Müller, ΜΕΓΑΣ ΘΕΟΣ Diss.
Phil. Hai. XXI, 3) καί τ[αϋτα έπισκοποΰ]σιν.
O. Weinreich:
durch Überreichung eines Klagelibellus (πιττάκιον) an die Gottheit;
diese πιττάκια wurden dann an einem sichtbaren Ort im heiligen
Bezirk als öffentliche Bekanntmachungen aufgehängt, wo der
Gott deren Inhalt kennen lernen und den Übeltäter strafen kann,
falls dieser nicht von selbst, um der Bache des Gottes zu entgehen,
seine Schuld eingesteht und soviel als möglich Wiedergutmachung
leistet. Kommt es zu einem wirklichen Prozeß, so vertreten die
Priester die Gottheit und sprechen das Urteil.
92. Z. 25ff. und 35ff. Vorschriften über sexuelle Reinheit.
Dem verheirateten Mann ist Geschlechtsverkehr verboten mit
andern Ehefrauen, mit verheirateten Sklavinnen, mit Knaben und
Mädchen. Da dem Mann nicht schlechthin jeder außereheliche
Verkehr untersagt wird, wie Z. 35 der Frau, so scheint das Ver-
hältnis mit einer unverheirateten Sklavin nicht strafbar gewesen
zu sein. Über unverheiratete Männer wird nichts ausgesagt. Bei
der Ehefrau ist die Moral noch strenger: ihr wird jeder außer-
eheliche Verkehr verboten. Ist das pythagoreisch? Die Theano
soll έρωτηΤεΐσαν ποσταία γυνή άπ’ άνδρος καΤαρεύει, geantwortet
haben ,,άπό μέν του ίδιου παραχρήμα, άπο δέ του άλλοτρίου ουδέποτε1 ή
(Diog. Laert. VIII 1, 43, vgl. Steinleitner a. a. 0. 96 A. 2 und
F. Buddenhagen, περί γάμου, Diss. Basel 1918, S. 30 A. 1). Über
πορνεύειν enthält die Inschrift nichts, das Christentum verbietet
auch dies (vgl. oben die Tabelle).
Wie die Verbote der Abtreibung und Konzeptionsverhinder ung,
so dienen auch diese sexuellen Verbote der Hebung der Sittlich-
keit und steuern auf das Ideal zu, das der vorhin schon zitierte
Musonius in seinem Traktat τί κεφάλαιον γάμου als Leitsatz
ausspricht: βίου καί γενέσεως παίδων κοινωνίαν κεφάλαιον είναι γάμου
(S. 67 Hense, wo Parallelen). Das stimmt überein mit den
strengen Anforderungen, die der alte Platon (Ges. VIII 839Aff.,
841D u. sonst) und die Stoa (z. B. Musonius S. 63ff., Seneca
ep. 94, 26 u. a.) vor allem stellten.
Über die kultisch unrein machende sexuelle Sünde vgl. E.
Fehrle, Kultische Keuschheit (RGW. VI, 1910), bes. S. 133
(phrygischer Lairbenoskult), und Steinleitner 87ff.
93. Z. 33 -θ-εοί . . . ίδρυνται μεγάλοι (über dies gerade in Klein-
asien häufige Epitheton vgl. B. Müller, ΜΕΓΑΣ ΘΕΟΣ Diss.
Phil. Hai. XXI, 3) καί τ[αϋτα έπισκοποΰ]σιν.