Stiftung und Kultsatzungen eines Privatheiligtums in Philadelpheia. 67
Der Hieros Nomos von Philadelpheia, den uns die dritte § 104.
lydische Reise Keil-v. Premersteins beschert hat, verdient wohl
die eingehende Behandlung, die ich zu gehen versucht habe. Es
ist in vieler Hinsicht überraschend, was in diesem kleinen lydischen
Privatkult in Erscheinung tritt. Ein Altar kreis von einer Zu-
sammensetzung, die in dieser Mischung von hellenischen Göttern
und „Personifikationen“ segensreicher und sittlicher Mächte allen-
falls im Pergamenischen Demeterheiligtum eine Analogie hat, in
Privatmysterien aber kaum zu vermuten war. Lehrreich ist die
Mischung von philosophischen und religiösen Motiven (Neupytha-
goreismus und Orphik, wie angenommen werden durfte), ferner von
hellenischen und epichorischen Gottheiten (Altarkreis einerseits,
Agdistis andererseits), von hellenistischem und einheimisch lydisch-
phrygischem religiösem Empfinden in Opferbrauch und Ethik. Bei
aller Strenge der sittlichen Vorschriften ist ein durchaus griechischer
Zug zum Eudämonismus nicht zu verkennen; die σωτηρία, die
Dionysios für sich und seine Mysten erstrebt, zielt auf das irdische
Leben mindestens ebensosehr wie auf ein künftiges Dasein, zum
wenigsten tritt in der Inschrift jenes stark hervor, während dieses
nur aus allgemeineren Erwägungen erschlossen werden darf. Es
ist im ganzen genommen jene Art von Religiosität, die die Früchte
ihres Tuns auf dieser Welt ernten will: man pflegt jede εύσέβεια
und beobachtet sittliche Gebote, weil man damit besser fährt als
mit dem Gegenteil. Man könnte für sie einen Merkspruch aus
Isokrates Νικοκλ. ή Κύπρ. (III 2) wählen: τά περί τούς θεούς εύσε-
βοΰμεν καί την δικαιοσύνην, άσκοΰμεν καί τάς άλλας άρετάς έπιτηδεύο-
μεν,· ούχ ίνα των άλλων έλαττον εχωμεν, άλλ’ όπως αν ώς μετά πλεί-
στων άγαθών τον βίον διάγωμεν, oder noch besser, jene so außer-
ordentlich charakteristischen Sätze, die der seiner Frömmigkeit
sich stolz bewußte Antiochos von Kommagene in seinem riesigen
Monument auf dem Nemrud-Dagh, etwa 100 Jahre nach unserer
Inschrift, einmeißeln ließ, schön asianisch stilisiert (01. 383,
übers, v. Laum, Stiftungen II, S. 148): „Als aller Güter wie
sichersten Besitz so freudvollsten Genuß für die Menschen habe
ich die Frömmigkeit gehalten und eben diese Erkenntnis
hielt ich auch für die Ursache meiner begünstigten Macht und
ihrer segenbegleiteten Anwendung; während des ganzen Lebens
hielt ich — allen stand es offen vor Augen — für meiner könig-
lichen Würde sicherste Wächterin und unerreichten Genuß die
Heiligkeit. Aus eben diesem Grunde entging ich selbst
5*
Der Hieros Nomos von Philadelpheia, den uns die dritte § 104.
lydische Reise Keil-v. Premersteins beschert hat, verdient wohl
die eingehende Behandlung, die ich zu gehen versucht habe. Es
ist in vieler Hinsicht überraschend, was in diesem kleinen lydischen
Privatkult in Erscheinung tritt. Ein Altar kreis von einer Zu-
sammensetzung, die in dieser Mischung von hellenischen Göttern
und „Personifikationen“ segensreicher und sittlicher Mächte allen-
falls im Pergamenischen Demeterheiligtum eine Analogie hat, in
Privatmysterien aber kaum zu vermuten war. Lehrreich ist die
Mischung von philosophischen und religiösen Motiven (Neupytha-
goreismus und Orphik, wie angenommen werden durfte), ferner von
hellenischen und epichorischen Gottheiten (Altarkreis einerseits,
Agdistis andererseits), von hellenistischem und einheimisch lydisch-
phrygischem religiösem Empfinden in Opferbrauch und Ethik. Bei
aller Strenge der sittlichen Vorschriften ist ein durchaus griechischer
Zug zum Eudämonismus nicht zu verkennen; die σωτηρία, die
Dionysios für sich und seine Mysten erstrebt, zielt auf das irdische
Leben mindestens ebensosehr wie auf ein künftiges Dasein, zum
wenigsten tritt in der Inschrift jenes stark hervor, während dieses
nur aus allgemeineren Erwägungen erschlossen werden darf. Es
ist im ganzen genommen jene Art von Religiosität, die die Früchte
ihres Tuns auf dieser Welt ernten will: man pflegt jede εύσέβεια
und beobachtet sittliche Gebote, weil man damit besser fährt als
mit dem Gegenteil. Man könnte für sie einen Merkspruch aus
Isokrates Νικοκλ. ή Κύπρ. (III 2) wählen: τά περί τούς θεούς εύσε-
βοΰμεν καί την δικαιοσύνην, άσκοΰμεν καί τάς άλλας άρετάς έπιτηδεύο-
μεν,· ούχ ίνα των άλλων έλαττον εχωμεν, άλλ’ όπως αν ώς μετά πλεί-
στων άγαθών τον βίον διάγωμεν, oder noch besser, jene so außer-
ordentlich charakteristischen Sätze, die der seiner Frömmigkeit
sich stolz bewußte Antiochos von Kommagene in seinem riesigen
Monument auf dem Nemrud-Dagh, etwa 100 Jahre nach unserer
Inschrift, einmeißeln ließ, schön asianisch stilisiert (01. 383,
übers, v. Laum, Stiftungen II, S. 148): „Als aller Güter wie
sichersten Besitz so freudvollsten Genuß für die Menschen habe
ich die Frömmigkeit gehalten und eben diese Erkenntnis
hielt ich auch für die Ursache meiner begünstigten Macht und
ihrer segenbegleiteten Anwendung; während des ganzen Lebens
hielt ich — allen stand es offen vor Augen — für meiner könig-
lichen Würde sicherste Wächterin und unerreichten Genuß die
Heiligkeit. Aus eben diesem Grunde entging ich selbst
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