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Driesch, Hans; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 18. Abhandlung): Logische Studien über Entwicklung, 2 — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37695#0032
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32

Hans Driesch:

merkungen darüber in L. J. Hendersons The order oj Nature1.
Später fand ich, daß E. du Bois-Reymond in seinen „Sieben
Welträtseln“2 auf den französischen Denker Bezug genommen hat,
und gelegentlich einer in Göttingen gehaltenen Vortragsreihe im
Dezember 1918 erfuhr ich, daß unter Mathematikern die von ihm
vorgetragenen Gedanken viel bekannter sind als unter Philosophen
und Biologen, und zwar unter weitgehender Zustimmung wenig-
stens zu ihrer Möglichkeit.
Boussinesq faßt das Problem rein mathematisch, wie denn
auch die Mechanik für ihn eigentlich reine Mathematik ist. Es
handelt sich um den Begriff der singulären Lösung von Dif-
ferentialgleichungen; solche Lösungen sind geometrisch auf be-
stimmte ausgezeichnete Punkte einer Kurve zu beziehen, und zwar
auf Punkte, an welchen aus dem Wissen um den bisherigen Ver-
lauf einer Kurve nicht eindeutig auf ihren weiteren Verlauf ge-
schlossen werden kann; die Differentialgleichung läßt von jenen
Punkten an gleichsam mehrere Bahnfortsetzungen als gleicher-
maßen möglich zu, entweder die Fortsetzung in derselben Kurve
oder diejenige in einer anderen Kurve desselben Kurvensystems
oder endlich diejenige auf der Enveloppe, d. h. derjenigen Kurve,
welche mit jeder Kurve des ursprünglichen Kurvensystems je
einen Punkt, nämlich eben den ausgezeichneten, gemeinsam hat.
In folgender Weise bezieht nun Boussinesq das mathema-
tische Problem auf mechanisches Geschehen: Es bewege sich ein
Massenpunkt an der reibungslosen Oberfläche eines Dachgiebels
der Schwere entgegen nach oben, und zwar mit einer Anfangs-
geschwindigkeit von der Größe, daß seine lebendige Kraft durch
Überwindung der Gravitation gerade in dem Augenblick aufgezehrt
ist, in welchem er auf dem Scheitelpunkt des Giebels ankommt.
Er ruht dann in labilem Gleichgewicht auf diesem Scheitelpunkte,
welcher einer singulären Lösung der seine Bewegungsbahn dar-
stellenden Differentialgleichung entspricht.
Nach Boussinesq soll nun das „principe directeur“, also der
Wille oder das, was wir Entelechie nennen, imstande sein, den
Massenpunkt nach ganz beliebiger Zeit auf einer beliebigen
unter den mathematisch möglichen Bahnen wieder aus dem
Ruhe- in den Bewegungszustabd überzuführen.
1 Cambridge (Mass.) 1917, S. lOOff.
2 2. Aufl. 1884, S. 96ff. Hier auch weitere Literatur.
 
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