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Ritter, Constantin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 19. Abhandlung): Platons Stellung zu den Aufgaben der Naturwissenschaft — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37696#0005
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Platons Stellung zu den Aufgaben der Naturwissenschaft.

steht in uns doch auf merkwürdige Weise der Eindruck ab-
geschlossener Ganzheit und Vollkommenheit und wir empfin-
den diesen Eindruck mit dem wohltuenden Gefühl, das bezeichnet
wird als Empfindung der Schönheit. AVas ist aber das Wesen
der Schönheit ? Schön ist nie der Stoff oder das Körperliche an und
für sich. Seiner eigenen Natur nach fehlt diesem jegliche klare
Bestimmtheit: nur die von Gedanken durchleuchtete, die durch-
geistigte Körperlichkeit ist schön. So muß also in den Stücken und
Teilen der körperlich sinnlichen Welt, die wir bei unserer Betrach-
tung schön finden, ein Geist walten. Die ganze Welt erscheint
von einer geistigen Macht gestaltet und beherrscht.
Nach Wahrscheinlichkeit aber darf man sich die Entstehung
der wunderbaren Schönheit und Ordnung, die Folge dieses Waltens
ist, etwa folgendermaßen ausmalen: Gott ist seinem innersten
AAresen nach gut. Deshalb wollte er, daß auch das ihm gegenüber-
stehende, das den Raum erfüllende Stoffliche möglichst gut sei.
Dieses befand sich in chaotischer Verworrenheit und wogte in
unbestimmbar gesetzloser Bewegung durcheinander, in einem Zu-
stand, der weder der Einzelbetrachtung irgendwie erkennbar noch
durch seinen Gesamteindruck irgendwie befriedigend gewesen
wäre. Nun griff der göttliche Weltbaumeister ein. Er fing an
Ordnung zu schaffen, indem er die ganze Masse zu kugelförmiger
Gestalt zusammenballte. Die Kugel selbst aber gliederte er
unter Anwendung von vier Grundformen der regelmäßigen stereo-
metrischen Körpergestaltung, die er als Elemente oder als Bau-
steine des Kosmos je in vielfach verschiedenen Maßen bildete, übri-
gens durchweg so klein, daß sie für unsere Organe nicht wahrnehm-
bar sind. Im Zusammenhang mit seiner Formung und durch
diese bedingt erhielt dabei jeder Körper einen bestimmten Be-
wegungsantrieb, der alle gleichartigen von anderen sondern und
einander nahe bringen müßte, wenn das nicht verhindert würde
durch die Zusammenstöße mit andersartigen. Sie fanden all-
mählich ihren Ausgleich in einer wirbelnden Drehung der ganzen
Masse, die Ursache ward, daß die einzelnen Körperchen, gegen-
einander gepreßt und voneinander beeinflußt, immer aufs neue
ihre Form und Bewegung wandeln. Mit dieser äußerlichen Gestal-
tung des Stoffes wurde zugleich seine Belebung und Beseelung
verbunden, d. h. es wurde ihm außer dem mechanischen Stoß,
den er erhielt, zugleich ein von innen heraus wirkendes auf zweck-
mäßige Weiterentwicklung hindringendes Bewegungsprinzip ein-
 
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