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Constantin Ritter:
Platon, indem er auch das Kleinste und Unwerteste, Dinge wie
die Läuse und den Schmutz, in den Kreis seiner Betrachtung zog,
an diesen Objekten eine gewisse Zahlbestimmtheit und Gesetz-
mäßigkeit erkannte, die eben der Schönheit verwandt ist. In der
Theodicee des 10. Buches der Nomoi wird ja auch deutlich aus-
gesprochen, daß jegliches Ding zur allgemeinen Harmonie der
Welt das Seinige beitrage, daß es an dem Platz, den es seinem
Wesen zufolge innerhalb des Ganzen der wirklichen Welt einnehme,
für dieses Ganze nützlich sei. Könnte der menschliche Verstand
das Ganze der Welt durchdringen und überschauen, so würde
wohl alles was jetzt verwirrt, unklar und unschön uns erscheint,
sich anders ausnehmen.
Daß Platon persönlich alle Eigenschaften besaß, die den tüch-
tigen Erforscher der Natur ausmachen können, neben dem klaren
überschauenden Verstand die Gabe scharfer Beobachtung und den
Sinn für das Besondere, Individuelle, das erkennt man leicht aus der
wunderbaren von keinem zweiten erreichten Meisterschaft, die
er (in den früheren Dialogen wenigstens) durch Zeichnung der
Szenerie und der Personen an den Taglegt. Namentlich
der Naturschilderungen sei gedacht. Die weitschattende Platane am
Kephisos, unter deren Wurzeln eine frische Quelle hervorsprudelt,
und die ganze liebliche Umgebung des Ortes, an dem das Gespräch'
zwischen Sokrates und Phaidros stattfindet, wird uns beim Lesen
vertraut. Weniger beachtet, aber ganz vorzüglich aufgefaßt ist
das Bild, das der Kritias von der attischen Landschaft entwirft* 1.
Da es mir wirklich die Fähigkeit Platons zu wissenschaftlicher
Naturbetrachtung zu beweisen scheint, gebe ich davon eine Über-
setzung: ,,Das ganze Land erstreckt sich burgartig vom Festlands-
erschließen dürfen, daß Platon allmählich erkannte, wie wichtig eben die
Beachtung des Gemeinsten und Nächstliegenden sei. Der jugendliche Sokrates
bedenkt sich noch darüber, ob er neben den Form- und Wertbegriffen auch
είδη konkreter Dinge, wie Mensch, Feuer, Wasser anerkennen solle, während
er den Gedanken an die Gattungswirklichkeit von θρίξ, πηλός, ρύπος mit
Entschiedenheit abweisen will. Parmenides aber zeigt ihm dann, daß dies
inkonsequent sei, mit den Worten: νέος γάρ εΐ έτι . . καί ουπω σου άντείληπ-
ται φιλοσοφία, ώςετι άντιλήψεται κατ’έμ,ήν δόξαν, οτεούδέν αύτών άτι [χάσεις· (νυν
δέ έτι προς άν-θ-ρόιπων άποβλέπεις δόξας διά την ήλικίαν).
1 Mit ähnlicher Anschaulichkeit wird die Hauptstadt der Atlantiker
inmitten einer fruchtbaren Landschaft mit ihren großartigen Hafenanlagen
und ihrem regen Markt- und Schiffsverkehr geschildert: gewiß nach Beobach-
tungen, die Platon auf seinen Reisen, insbesondere in Syrakus, gemacht hat.
Constantin Ritter:
Platon, indem er auch das Kleinste und Unwerteste, Dinge wie
die Läuse und den Schmutz, in den Kreis seiner Betrachtung zog,
an diesen Objekten eine gewisse Zahlbestimmtheit und Gesetz-
mäßigkeit erkannte, die eben der Schönheit verwandt ist. In der
Theodicee des 10. Buches der Nomoi wird ja auch deutlich aus-
gesprochen, daß jegliches Ding zur allgemeinen Harmonie der
Welt das Seinige beitrage, daß es an dem Platz, den es seinem
Wesen zufolge innerhalb des Ganzen der wirklichen Welt einnehme,
für dieses Ganze nützlich sei. Könnte der menschliche Verstand
das Ganze der Welt durchdringen und überschauen, so würde
wohl alles was jetzt verwirrt, unklar und unschön uns erscheint,
sich anders ausnehmen.
Daß Platon persönlich alle Eigenschaften besaß, die den tüch-
tigen Erforscher der Natur ausmachen können, neben dem klaren
überschauenden Verstand die Gabe scharfer Beobachtung und den
Sinn für das Besondere, Individuelle, das erkennt man leicht aus der
wunderbaren von keinem zweiten erreichten Meisterschaft, die
er (in den früheren Dialogen wenigstens) durch Zeichnung der
Szenerie und der Personen an den Taglegt. Namentlich
der Naturschilderungen sei gedacht. Die weitschattende Platane am
Kephisos, unter deren Wurzeln eine frische Quelle hervorsprudelt,
und die ganze liebliche Umgebung des Ortes, an dem das Gespräch'
zwischen Sokrates und Phaidros stattfindet, wird uns beim Lesen
vertraut. Weniger beachtet, aber ganz vorzüglich aufgefaßt ist
das Bild, das der Kritias von der attischen Landschaft entwirft* 1.
Da es mir wirklich die Fähigkeit Platons zu wissenschaftlicher
Naturbetrachtung zu beweisen scheint, gebe ich davon eine Über-
setzung: ,,Das ganze Land erstreckt sich burgartig vom Festlands-
erschließen dürfen, daß Platon allmählich erkannte, wie wichtig eben die
Beachtung des Gemeinsten und Nächstliegenden sei. Der jugendliche Sokrates
bedenkt sich noch darüber, ob er neben den Form- und Wertbegriffen auch
είδη konkreter Dinge, wie Mensch, Feuer, Wasser anerkennen solle, während
er den Gedanken an die Gattungswirklichkeit von θρίξ, πηλός, ρύπος mit
Entschiedenheit abweisen will. Parmenides aber zeigt ihm dann, daß dies
inkonsequent sei, mit den Worten: νέος γάρ εΐ έτι . . καί ουπω σου άντείληπ-
ται φιλοσοφία, ώςετι άντιλήψεται κατ’έμ,ήν δόξαν, οτεούδέν αύτών άτι [χάσεις· (νυν
δέ έτι προς άν-θ-ρόιπων άποβλέπεις δόξας διά την ήλικίαν).
1 Mit ähnlicher Anschaulichkeit wird die Hauptstadt der Atlantiker
inmitten einer fruchtbaren Landschaft mit ihren großartigen Hafenanlagen
und ihrem regen Markt- und Schiffsverkehr geschildert: gewiß nach Beobach-
tungen, die Platon auf seinen Reisen, insbesondere in Syrakus, gemacht hat.