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Girardin und die Handschriften Mustafas.
kronfiskalischem Gut und Privateigentum des Sultans. Was diesem
gefiel, konnte er aus Schatz oder Bibliothek persönlich nehmen.
Ob aber, was dem Sultan Mustafa erlaubt war, dem Prinzen
Mustafa verstattet worden ist, muß als mehr als zweifelhaft gelten.
Und dem Prinzen haben doch 15 der Pariser Handschriften gehört!
Mithin dürfen wir annehmen, daß die griechischen Handschriften
Mustafas außerhalb des Bereiches des Serai für ihn erworben
worden sind. Woher? Darüber könnten nur die Handschriften
selbst noch etwas aussagen. Sie in Paris daraufhin zu untersuchen,
hat der Krieg mich verhindert. So war ich auf die Literatur allein
angewiesen, die nicht mehr ergibt als daß vier von den Hand-
schriften erst Jahrzehnte nach der Eroberung der
Stadt, 1453, in türkische Hände gekommen sein können1,
womit nicht viel gewonnen ist. Die Frage bleibt also offen, und wir
müssen uns mit der banalen Antwort begnügen, daß ein osmanischer
Prinz und Sultan in der Lage war sein Verlangen nach griechischen
Handschriften zu stillen. Seine Befehle werden leicht beschafft
haben, was europäische Sammler damals nur noch nach mühsamem
Suchen fanden und dann noch nicht einmal immer erwerben konnten.
Die Handschriften haben zum Teil einen türkischen Einband2.
Das beweist, daß ihr fürstlicher Besitzer ihnen Pflege hat ange-
deihen lassen. Ob er sie hat lesen können und warum er sie, wenn er
sie nicht lesen konnte, gesammelt hat, das müssen wir auf sich beruhen
lassen. Seine eigenartige Persönlichkeit läßt alles wunderliche zu.
Es darf nunmehr als feststehend betrachtet wer-
den, daß die „Seraibibliothek“ 1687 nicht um 200 Hand-
schriften geschmälert worden ist. Einem geschickten Betrug
ist Girardin zum Opfer gefallen.
1 Villoison a. a. O. S. 17.
2 Paris, gr. 1809 stammt aus dem Kloster Yatopedi (Schanz, Hermes 11,
1876, S. 110). — 2685 ist noch nach 1464 im Besitz des Johannes Dokianos
gewesen (Lampros, Nso? 'EXXyjvogvTjgcov 1, 1904, S. 303f.; 8, 1911, S. 368;
Krumbacher, Byz. Lit.-Gesch.2, S. 497). — 2391 enthält eine Tabula chrono-
logica ab a. 1123 ad a. 1492 (Omont, Inventaire s. n.). — Fonds lat. 7239
(Paulus Santinus, Tractatus de re militari et de machinis bellicis) ist als einst
zur corvinischen Bibliothek gehörig stark bestritten (Delisle, Gab. des mss. I,
S. 297f.; Weinberger, Beiträge zur Handschriftenkunde f, S. 46 (Sitzber.
der Wiener Akad. Ph.-hist. Kl. 159, Abh. 6); sollte er doch dazu gehört haben,
so ist damit durchaus noch nicht gesagt, daß er den Corvinates des Serai ent-
nommen wäre. Vgl. über diese Hs.: M. Jähns, Gesch. der Kriegswissenschaften
(Gesch. d. Wiss. in Deutschland, Bd. 21), Abt. I, 1889, S. 280ff.; E. Müntz,
Gazette des beaux arts, Annee 35 Periode III, T. 12, 1894, S. 359.
Girardin und die Handschriften Mustafas.
kronfiskalischem Gut und Privateigentum des Sultans. Was diesem
gefiel, konnte er aus Schatz oder Bibliothek persönlich nehmen.
Ob aber, was dem Sultan Mustafa erlaubt war, dem Prinzen
Mustafa verstattet worden ist, muß als mehr als zweifelhaft gelten.
Und dem Prinzen haben doch 15 der Pariser Handschriften gehört!
Mithin dürfen wir annehmen, daß die griechischen Handschriften
Mustafas außerhalb des Bereiches des Serai für ihn erworben
worden sind. Woher? Darüber könnten nur die Handschriften
selbst noch etwas aussagen. Sie in Paris daraufhin zu untersuchen,
hat der Krieg mich verhindert. So war ich auf die Literatur allein
angewiesen, die nicht mehr ergibt als daß vier von den Hand-
schriften erst Jahrzehnte nach der Eroberung der
Stadt, 1453, in türkische Hände gekommen sein können1,
womit nicht viel gewonnen ist. Die Frage bleibt also offen, und wir
müssen uns mit der banalen Antwort begnügen, daß ein osmanischer
Prinz und Sultan in der Lage war sein Verlangen nach griechischen
Handschriften zu stillen. Seine Befehle werden leicht beschafft
haben, was europäische Sammler damals nur noch nach mühsamem
Suchen fanden und dann noch nicht einmal immer erwerben konnten.
Die Handschriften haben zum Teil einen türkischen Einband2.
Das beweist, daß ihr fürstlicher Besitzer ihnen Pflege hat ange-
deihen lassen. Ob er sie hat lesen können und warum er sie, wenn er
sie nicht lesen konnte, gesammelt hat, das müssen wir auf sich beruhen
lassen. Seine eigenartige Persönlichkeit läßt alles wunderliche zu.
Es darf nunmehr als feststehend betrachtet wer-
den, daß die „Seraibibliothek“ 1687 nicht um 200 Hand-
schriften geschmälert worden ist. Einem geschickten Betrug
ist Girardin zum Opfer gefallen.
1 Villoison a. a. O. S. 17.
2 Paris, gr. 1809 stammt aus dem Kloster Yatopedi (Schanz, Hermes 11,
1876, S. 110). — 2685 ist noch nach 1464 im Besitz des Johannes Dokianos
gewesen (Lampros, Nso? 'EXXyjvogvTjgcov 1, 1904, S. 303f.; 8, 1911, S. 368;
Krumbacher, Byz. Lit.-Gesch.2, S. 497). — 2391 enthält eine Tabula chrono-
logica ab a. 1123 ad a. 1492 (Omont, Inventaire s. n.). — Fonds lat. 7239
(Paulus Santinus, Tractatus de re militari et de machinis bellicis) ist als einst
zur corvinischen Bibliothek gehörig stark bestritten (Delisle, Gab. des mss. I,
S. 297f.; Weinberger, Beiträge zur Handschriftenkunde f, S. 46 (Sitzber.
der Wiener Akad. Ph.-hist. Kl. 159, Abh. 6); sollte er doch dazu gehört haben,
so ist damit durchaus noch nicht gesagt, daß er den Corvinates des Serai ent-
nommen wäre. Vgl. über diese Hs.: M. Jähns, Gesch. der Kriegswissenschaften
(Gesch. d. Wiss. in Deutschland, Bd. 21), Abt. I, 1889, S. 280ff.; E. Müntz,
Gazette des beaux arts, Annee 35 Periode III, T. 12, 1894, S. 359.