Metadaten

Warburg, Aby Moritz; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 26. Abhandlung): Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten — Heidelberg, 1920

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37732#0021
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten. 21
Deshalb verteilt er die Planeten-Konjunktion aus dem Hause des
Skorpions auf andere Häuser, unter anderem das der religion-
beherrschenden Jungfrau. Jedenfalls ist also anzunehmen, daß der
haßerfüllte Text des Gauricus in der Ausgabe von 1552 eine
spätere, unter dem Druck der Gegenreformation erfolgte Redak-
tion ist.
Auch diese kirchenpolitisch so feindselige Nativität des Cardanus
war Luther persönlich bekannt, er verurteilte sie natürlich unbe-
dingt. 1543 legt ihm ein Tischgenosse seine Nativität, zugleich mit
der Ciceros und anderer zu Nürnberg gedruckt (vgl. Beil. B III. 3) ;
es muß die von Cardanus43 gewesen sein) vor: ,,Ich halte nichts
davon, eigene ihnen gar nichts zu, aber gerne wollt ich, daß sie
mir dieß Argument solvireten: Esau und Jacob sind von einem
Vater und einer Mutter, auf eine Zeit, und unter gleichem Gestirn
geborn, und doch gar widerwärtiger Natur, Art und Sinn. Summa,
was von Gott geschieht, und sein Werk ist, das soll man dem
Gestirn nicht zuschreiben. Ah, der Himmel fraget nach dem nicht,
wie auch unser Herr Gott nach dem Himmel nicht fraget. Die
rechte christliche Religion confutirt und widerlegt solche Mährlin
und Fabelwerk allzumal.“
Wir stehen also vor der Tatsache, daß italienische Astrologen,
Gauricus und Cardanus, das Geburtstagsdatum willkürlich ver-
ändern, um damit mehr oder weniger feindselige Politik zu betrei-
ben; daß also bei Lebzeiten Luthers zwei Geburtsdaten neben-
einander herliefen und es für Luthers Biographen gleichsam zwei
kalendarische .,Wahrheiten“—eine historische und eine mythische
— gab und ebenso zwei Arten von Geburtstagsschirmherrn: einen
deutsch-christlichen Heiligen, den hl. Martin, und ein Paar heid-
nischer Planetendämonen, Saturn und Jupiter44.
temporum & motuum coelestium. Item Geniturae LXVII. insignes casibus
& fortuna, cum expositione. Norimbergae 1543). Der Begleittext zur Nativität
ist in Beil. B. III. 3. abgedruckt.
43 Die Luther vorgelegte Nativität kann deshalb nur aus jenem Werk
des Cardanus von den 67 Geniturae gewesen sein, da dieses im Gesprächs]ahr
1543 in Nürnberg erschien und gerade neben der Nativität Ciceros (fol. N III v°)
diejenige Luthers (fol. N IV r°) abdruckt.
44 Krankheit verhinderte den Verfasser, diese Janusköpfigkeit histori-
schen Empfindens als erstaunliche Selbstverständlichkeit tragischer Polarität
in der Entwicklung des modernen „Homo non — sapiens“ darzustellen;
Luthers korrigierter Geburtstag zeigt uns nur einen unwiderleglich sprechen-
den Fall: den Durchbruch urtümlichen totemistischen Verknüpfungszwanges
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften