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Johannes Ficker:
göttliche Wohltat die Wiedergewinnung der edelsten christlichen
Literatur, nun ist das Ende der vierhundertjährigen babylonischen
Gefangenschaft und der Anfang der christlichen Freiheit da
(März 1519). Wiederum werden Luther die Psalmen zur beson-
deren Stätte und Förderung seines wissenschaftlichen Verständ-
nisses der heiligen Schrift : nec est über in Bibliis, qui me dili-
gentius exercitarit1.
Von den Einträgen bis Ps. 50 in Luthers Handpsalter rücken
graphisch sehr bestimmt die im späteren Teile des Buches ab
(s. Tafel Ilb). Andere Tinte: graubraun der Zusatz zu Ps. 68, grau die
zu Ps. 119, zwischen beiden in der Farbe der Buchstabe 2 im letztem
Psalm (V. 15), der ein 13 im Texte richtig stellt. Dieser Buchstabe ist
nicht mehr gezeichnet, sondern geschrieben, und auch die Schrift-
züge jener Noten sind jetzt ganz anders flüssig, bewegt, kräftiger.
Verschieden freilich von einander: die Bemerkung zu Ps. 68 ist
noch in kleinen Lettern gehalten; die Randworte zu Ps. 119 sind
breiter, größer, flüchtiger, rascher bewegt; sie sind rasch nach-
einander geschrieben: wiederum hat verschiedentlich ein Wort
sich auf der gegenüberstehenden Seite abgedruckt. Schräge Hal-
tung tritt an Stelle der bloß geraden, und in einzelnen Buchstaben
tritt ein flüchtigerer Typ auf: das e fast dem i (ohne Punkt) ähn-
lich, das a ganz geöffnet (fast = n).
Wer eine größere Zahl eigenhändiger Niederschriften Luthers
aus den frühen Jahren vergleichend betrachtet, etwa wie sie das
anhaltinische Haus- und Staatsarchiv in Zerbst von 1516 an in
den Briefen an Spalatin aufbewahrt, wird den Eindruck erhalten,
daß sich die Schriftzüge Luthers in den Jahren 1518 bis 1521/22
wandeln. Kräftiger und fester, stämmiger, größer und breiter,
schräger gestellt, frei in der Bewegung treten sie in der Wartburg-
zeit entgegen: haarscharf wie Schwertschärfe bleibt der Anstrich,
aber wuchtiger die Grundstriche. Noch geht ein kleiner, feiner
Duktus neben dem neuen daher, aber auch, wo er sich zeigt, ist
1520/21 in der rascheren Bewegtheit neben die bisherige Form
1 So in der Widmung der Operationes, W. A. 5, S. 23. Wann Luther
seine zweite Vorlesung über den Psalter begann, ist noch nicht sicher fest-
gestellt. Ins Gewicht fällt Spalatins Mitteilung an Bild vom 11. April 1519
(Zeitschr. des historischen Vereins für Schwaben-Neuburg, 20, 1893, S. 221):
Idem (Luther) denuo interpretari coepit psalterium —- er fügt hinzu: editis
tribus primis in eo opere sexternionibus. Das sind die ersten zwei Psalmen;
sie füllten also die erste Lieferung des Werkes.
Johannes Ficker:
göttliche Wohltat die Wiedergewinnung der edelsten christlichen
Literatur, nun ist das Ende der vierhundertjährigen babylonischen
Gefangenschaft und der Anfang der christlichen Freiheit da
(März 1519). Wiederum werden Luther die Psalmen zur beson-
deren Stätte und Förderung seines wissenschaftlichen Verständ-
nisses der heiligen Schrift : nec est über in Bibliis, qui me dili-
gentius exercitarit1.
Von den Einträgen bis Ps. 50 in Luthers Handpsalter rücken
graphisch sehr bestimmt die im späteren Teile des Buches ab
(s. Tafel Ilb). Andere Tinte: graubraun der Zusatz zu Ps. 68, grau die
zu Ps. 119, zwischen beiden in der Farbe der Buchstabe 2 im letztem
Psalm (V. 15), der ein 13 im Texte richtig stellt. Dieser Buchstabe ist
nicht mehr gezeichnet, sondern geschrieben, und auch die Schrift-
züge jener Noten sind jetzt ganz anders flüssig, bewegt, kräftiger.
Verschieden freilich von einander: die Bemerkung zu Ps. 68 ist
noch in kleinen Lettern gehalten; die Randworte zu Ps. 119 sind
breiter, größer, flüchtiger, rascher bewegt; sie sind rasch nach-
einander geschrieben: wiederum hat verschiedentlich ein Wort
sich auf der gegenüberstehenden Seite abgedruckt. Schräge Hal-
tung tritt an Stelle der bloß geraden, und in einzelnen Buchstaben
tritt ein flüchtigerer Typ auf: das e fast dem i (ohne Punkt) ähn-
lich, das a ganz geöffnet (fast = n).
Wer eine größere Zahl eigenhändiger Niederschriften Luthers
aus den frühen Jahren vergleichend betrachtet, etwa wie sie das
anhaltinische Haus- und Staatsarchiv in Zerbst von 1516 an in
den Briefen an Spalatin aufbewahrt, wird den Eindruck erhalten,
daß sich die Schriftzüge Luthers in den Jahren 1518 bis 1521/22
wandeln. Kräftiger und fester, stämmiger, größer und breiter,
schräger gestellt, frei in der Bewegung treten sie in der Wartburg-
zeit entgegen: haarscharf wie Schwertschärfe bleibt der Anstrich,
aber wuchtiger die Grundstriche. Noch geht ein kleiner, feiner
Duktus neben dem neuen daher, aber auch, wo er sich zeigt, ist
1520/21 in der rascheren Bewegtheit neben die bisherige Form
1 So in der Widmung der Operationes, W. A. 5, S. 23. Wann Luther
seine zweite Vorlesung über den Psalter begann, ist noch nicht sicher fest-
gestellt. Ins Gewicht fällt Spalatins Mitteilung an Bild vom 11. April 1519
(Zeitschr. des historischen Vereins für Schwaben-Neuburg, 20, 1893, S. 221):
Idem (Luther) denuo interpretari coepit psalterium —- er fügt hinzu: editis
tribus primis in eo opere sexternionibus. Das sind die ersten zwei Psalmen;
sie füllten also die erste Lieferung des Werkes.