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Charles Rogier.
geheim, so spürte man doch in Brüssel, ,,daß um Belgien gewürfelt
würde“. Mit zynischer Offenheit predigen die französischen Annexio-
nisten die heilige Lehre der natürlichen Grenzen und ermahnen
Napoleon, das „teutonische Frankreich“, das Patrimonium Karls
des Großen in Besitz zu nehmen. „La Belgique vous attend“,
erdreistet sich Proudhon 1862 von seiner Brüsseler Zufluchts-
stätte aus dem Kaiser zuzurufen. Vom Parteigeist geblendet
nähren ihrerseits noch die Katholiken den französischen Chauvinis-
mus. Belgien bedurfte wahrlich eines umsichtigen Steuermannes.
Als Minister der Auswärtigen Angelegenheiten führte sich
Rogier mit dem Loskaufe des Scheldezolls ein. Seit dem Vertrage
von Münster (30. Januar 1648) waren die Schelde, sowie die Sas-,
Zwyn- und benachbarten Kanäle verschlossen. Kaiser Josef II.,
dann der französische Nationalkonvent hatten versucht, die freie
Schiffahrt auf der Schelde wiederherzustellen. Bei der Gründung
des Königreiches Belgien sprach sich die Londoner Konferenz im
gleichen Sinne aus, bewilligte aber Holland zur Entschädigung
ein Tonnengeld für jedes Fahrzeug, das die Schelde auf- oder ab-
wärts fuhr. Um die Schiffahrt nicht zu beeinträchtigen, mußte
der Fiskus die Abgabe übernehmen, mochte sie von belgischen
oder nicht belgischen Reedern zu leisten sein. Je mehr sich die
Schiffahrt entwickelte, desto drückender wurde die Last für den
Staatsschatz. Der hochverdiente Beamte des Ministeriums der
Auswärtigen Angelegenheiten, Auguste Lambermont, seit 1860
Generalsekretär, arbeitete seit Jahren an dem Plan, den Rück-
kauf des Scheldezolles durchzusetzen. Außerordentliche Schwie-
rigkeiten waren zu überwinden, und Rogier mußte sein ganzes
diplomatisches Geschick aufbieten, um zum Ziele zu kommen.
Endlich auf einem feierlichen Kongreß, den einundzwanzig Staaten
beschickten, konnte am. 15. Juli 1863 der Vertrag unterzeichnet
werden: die Schelde, die seit zwei Jahrhunderten in Fesseln ge-
legen hatte, war frei. Antwerpen schaute einer großen Zukunft
entgegen. Durch die Ablösung ersparte der Staatsschatz gewaltige
Summen. Ein friedlicheres Verhältnis zwischen Belgien und
Holland wurde in die Wege geleitet.
Ouvrons nos rangs ä d’anciens freres,
De nous trop longtemps desunis:
Beiges, Bataves, plus de guerres,
Les peuples libres sont amis!
Charles Rogier.
geheim, so spürte man doch in Brüssel, ,,daß um Belgien gewürfelt
würde“. Mit zynischer Offenheit predigen die französischen Annexio-
nisten die heilige Lehre der natürlichen Grenzen und ermahnen
Napoleon, das „teutonische Frankreich“, das Patrimonium Karls
des Großen in Besitz zu nehmen. „La Belgique vous attend“,
erdreistet sich Proudhon 1862 von seiner Brüsseler Zufluchts-
stätte aus dem Kaiser zuzurufen. Vom Parteigeist geblendet
nähren ihrerseits noch die Katholiken den französischen Chauvinis-
mus. Belgien bedurfte wahrlich eines umsichtigen Steuermannes.
Als Minister der Auswärtigen Angelegenheiten führte sich
Rogier mit dem Loskaufe des Scheldezolls ein. Seit dem Vertrage
von Münster (30. Januar 1648) waren die Schelde, sowie die Sas-,
Zwyn- und benachbarten Kanäle verschlossen. Kaiser Josef II.,
dann der französische Nationalkonvent hatten versucht, die freie
Schiffahrt auf der Schelde wiederherzustellen. Bei der Gründung
des Königreiches Belgien sprach sich die Londoner Konferenz im
gleichen Sinne aus, bewilligte aber Holland zur Entschädigung
ein Tonnengeld für jedes Fahrzeug, das die Schelde auf- oder ab-
wärts fuhr. Um die Schiffahrt nicht zu beeinträchtigen, mußte
der Fiskus die Abgabe übernehmen, mochte sie von belgischen
oder nicht belgischen Reedern zu leisten sein. Je mehr sich die
Schiffahrt entwickelte, desto drückender wurde die Last für den
Staatsschatz. Der hochverdiente Beamte des Ministeriums der
Auswärtigen Angelegenheiten, Auguste Lambermont, seit 1860
Generalsekretär, arbeitete seit Jahren an dem Plan, den Rück-
kauf des Scheldezolles durchzusetzen. Außerordentliche Schwie-
rigkeiten waren zu überwinden, und Rogier mußte sein ganzes
diplomatisches Geschick aufbieten, um zum Ziele zu kommen.
Endlich auf einem feierlichen Kongreß, den einundzwanzig Staaten
beschickten, konnte am. 15. Juli 1863 der Vertrag unterzeichnet
werden: die Schelde, die seit zwei Jahrhunderten in Fesseln ge-
legen hatte, war frei. Antwerpen schaute einer großen Zukunft
entgegen. Durch die Ablösung ersparte der Staatsschatz gewaltige
Summen. Ein friedlicheres Verhältnis zwischen Belgien und
Holland wurde in die Wege geleitet.
Ouvrons nos rangs ä d’anciens freres,
De nous trop longtemps desunis:
Beiges, Bataves, plus de guerres,
Les peuples libres sont amis!