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Immisch, Otto; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 7. Abhandlung): Agatharchidea — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37684#0094
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94

Otto Immisci-i:

und in sehr ähnlicher Art weiter verfolgen (vgl. Gronau a. a. 0.
245ff.). Aber ein ganz bestimmter Unterschied trennt den Ano-
nymus doch auch wieder aufs klarste davon ab. Aus dem Vorrang
und der Führerstellung des Geistes ist hier kein ηγεμονικόν in
dem Sinne entwickelt, daß nur in ihm das wahre Wesen der Seele,
ja die eigentliche Natur des Menschen gegeben und jeder Gehor-
sam gegen θυμός und επιθυμία mithin ein παρά την φύσιν oder έξω
τής φύσεως wäre. Im Gegenteil, auch im Gebiet der θεία δύναμις
λογική zeigt sich verhältnismäßig die gleiche Unvollkommenheit
der Menschennatur, wie in den übrigen Vermögen. Und alle
zusammen, in ihrer Unvollkommenheit, der doch auch ein Vorzug
nicht fehlt, nämlich jene universale Teilnahme an allen Welt-
bereichen, wodurch eben der Mensch zum Mikrokosmos wird —,
alle zusammen erst in ihrer so bestimmten Vereinigung bilden
die wahre Natur des Menschen, nicht aber im ηγεμονικόν allein
kommt diese zum Ausdruck. Wohl soll man den edelsten dieser
Bestandteile pflegen und zu steigern suchen (θεραπεύειν), jedoch
nicht, weil man erst auf diese Weise in Wahrheit Mensch würde,
sondern weil man so die Gesamtmischung der Menschennatur
am besten meistert und in Betätigung setzt. Der Unterschied
vom Stoischen ist bei aller Verwandtschaft deutlich fühlbar.
Zugleich bestätigt sich der früher schon (S. 42) erwähnte Eindruck
größerer Natürlichkeit und Wirklichkeitsnahe: das ist wohl tat-
sächlich ein minder gebrochenes alt- und echtgriechisches Wesen.
Auch von der innerlich verwandten Syndesmos-Lehre des
Posidonius, von Jäger a. a. 0. 98ff. im Anschluß an eine der
uns vorliegenden sehr ähnliche Stelle bei Nemesius entwickelt
(wo auch das Wort μικρός κόσμος wiederkehrt 26 p. 64, 2 Matth.),
unterscheiden sich die Gedanken des Anonymus sehr deutlich.
Die Mittler- und Grenzwartstelle des Menschen im Kosmos ist
nach jener Auffassung sein bedeutsamster Adel und Vorzug. Sie
gibt Anlaß zu einem fast sophokleischen Loblied auf die Menschen-
natur, das in reichster Teleologie sich zu ergehen pflegt; vgl. auch
Gronau a. a. 0. 141 ff., 149ff., 164 u. ö. Hier dagegen ist der
Vorzug zugleich eine Schwäche, und auf diese Seite fällt der
Nachdruck, wie man besonders deutlich 441 a 6 ff. sieht, wo
in anderem Zusammenhang auf die Gesamtauffassung zurück-
gegriffen wird. Seltsamerweise begegnet sich, so lernen wir dort,
das vollendetste und das niedrigste Wesen auf der Stufenleiter
des Lebens, Gott und die Pflanze, in einem gemeinschaftlichen
 
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